andrer sein, als die Befreiung der Bauern und Gutsangehörigen vom Leibeigenschaftsverhältnisse. Aber das durch russische Inspiration in die europäische Presse eingeführte Wort „Bauernemancipation" ist vorläufig im guten, wie im schlimmen Sinne noch keineswegs identisch mit „Sklavenemancipation". Und es muß bemerkenswert!) genug erscheinen, daß der plötzlich erwachte Hofliberalismus der russischen und russisch-influirten Presse den Ausdruck „Bauernbefreiung" — der doch aus den Ostseeprovinzen her auch dem russischen Deutsch recht geläufig ist — mit peinliches Sorgfalt vermeidet. *) Denkt ihr Ausländer euch unter „Banernemancipation" mehr, als es uns gilt, so ists eure Sache. Und wenn namentlich ein Theil der norddeutschen Presse damit russische Sympathie- Propaganda macht, oder ein schlecht unterrichteter Theil der kosmopolitisch- liberalisirenden Journalistik den Freiheitssturm russischer Principien wortgläubig benutzt, um antifranzösisch zu agitiren, so wird beides in Petersburg sicherlich sehr willkommen sein. Man kann auch dort die „öffentliche Meinung" nicht entbehren.
Man muß sich klar über den positiven Stand der Dinge bei einer so hochwichtigen Frage sein, um ihr objectiv, unbefangen, parteilos ihre rechte Geltung unter den bewegenden Momenten der politischen Gegenwart einzuräumen. Man muß sich bei ihrer Beurtheilung auch nicht auf einen absoluten Moralitätsstandpunkt stellen und darf namentlich die von der Emancipationsfrage Betroffenen. Leibherrn wie Leibeigne, nicht nach den Kategorien eines politischen Idealismus rubriziren. Wir thun damit ihnen Unrecht und schlagen unsern eignen, den europäischen Interessen ins Gesicht. Man darf insonderheit nie vergessen, daß es in der gesammten Culturwelt keine Entwicklung und Lebensgestalt gibt, welche für Mitteleuropa in allen ihren Regungen. Be-
') Auch das „allgemeine Programm für die Beschäftigungen der Gubernialcomites", welches im April 1858 von dem Petersburger Centralcomite unter des Kaisers Vorsitz erlassen wurde und — wie es osficiös ausgedrückt wird — „den in den kais. Erlassen und Ministerial- rescriptcn nur im Allgemeinen aufgestellten Grundsätzen die erste praktische Gestalt gibt und zugleich die Aufgabe der genannten Comites so vollständig präcisirt, daß diese bei voller Freiheit der Berathung und des Urtheils über die Einzelheiten im Ganzen und Großen doch noch viel entschiedener als bisher an die Grnndbcdinguugen der Reform gebunden sind und sich denselben in keiner Weise entziehe» können" — also auch dieses „allgemciue Programm" gelangt noch nicht bis zur wirklichen Aufhebung der Leibeigenschaft. Es culminirt mit seine» Vorschriften über den Berathungsgang der Guberuialcomites und über die daraus hervor- gehenden provisorischen Verhältnisse zwischen Grundherrn und Bauern in dem Verlangen nach Feststellung eines definitiven „Statuts über die Verbesserung der Kristenz der Gutsbauern". Von den zehn Capiteln, welche dasselbe umfassen soll, trägt keines eine Ueberschrist, welche auf einen wirklich freien Bauernstand Kinweist. Cvnscqueut durchgeführter Grundsatz erscheint nur die coutractliche Normirung der Wechselverpflichtungen zwischen Bauern und Herrn, das Recht des Bauern auf Grundbesitz und Vermögen, das Aufhören der politischen und persönlichen Rechtlosigkeit des Leibeigne». Diesen« „provisorisch verpflichteten Zustand", dieser „provisorischen Leibeigenschaft" ist in dem Programm kein Endtermin gesetzt.