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Endlich freuen wir uns, daß der Verfasser seinen Gegenstand so gut darzustellen versteht. Kunstwerke zu beschreiben ist immer nicht leicht; steuert man auch glücklich zwischen der Scylla tönender, aber leerer Phrasen und der Cha- rybdis einer trocknen Specification von Details hindurch, so ist man doch noch lange nicht sicher, den Eindruck, den man selbst empfangen hat, bei dem Leser zu erwecken. Dazu ist erforderlich, das; der Ausdruck voll Wärme. Schwung lind Kraft der Anschauung sei. Vor hundert Jahren gehörte das Genie Winckelmanus dazu, diese Eigenschaften der damals noch steifen und ungelenken Sprache mitzutheilen. Schilderungen, wie er sie vom Laokoon, vom Torso und vom Apoll von Velvedere gemacht hat, konnte damals, (nicht blos was Tiefe der Auffassung, sondern anch was Kraft und Schönheit des Ausdrucks betrifft) schwerlich ein andrer machen; und doch kostete ihm eine davon drei Monate. Es ist wol nicht so bekannt als es zu sein verdiente, daß Lcssiug den zweiten Theil seines Laoton sranzösisch herauszugeben beabsichtigte. Sein litcrarischer Nachlaß (Land 2 der lachmannschen Ausgabe) enthält eine französische Bearbeitung der Vorrede zu», ersten Theil. Am Schluß sagt er: ,,^e vais
10 rvlligvr äe iiouvoau et vu Sounor I» suite v» K-iMAus, eetts langue m'ütant 6miL »es luativre« tout g.u ineins aus-zi kamilivrv Mv I'auti'v. I^a langue allemamle, <iu0i<iue eile ue lni eecke eu rieu, etant mauiee eomme
11 kaut, ost pourtaut oaeore a kormer, ü. er6er mümo xeur I>lu- sieur» gonros ckv eoivpositiou, äout eelniei u'estpas1v moiuäre. Nais a quoi bou so äounor evttv peiuo, au riiz<iuo meme äs o'^ rvussir pas au goüt äe »LL eowpatl'iotv»? Voila 1a lau^uv t'nui^aisv ävM tonte oreöv, tonte tormee: riK<iuons äone le xarmet." So schwer fand es der Manu, dessen deutsche Prosa nie übcrtroffcn werden wird, über ästhetische Gegenstände deutsch zu schreiben! Dank ihm und den andern Heroen unsrer großen Literaturperiode ist es uns Epigonen so leicht, daß es jeder Gebildete kann, der seinen Gegenstand durchdrungen und die aufs reichste entwickelte Sprache handhaben gelernt bat. Die Zahl derjenigen, die gegenwärtig über Kunst gut schreiben, ist sehr groß, und der Verfasser gehört zu denen, die am besten schreiben.
Wie billig nehmen in einer Darstellung der gegenwärtigen Kunstzustände (nur eine „Geschichte" möchten wir sie nicht nennen, obwol der Verfasser diesen Titel in der Einleitung zu vertheidige» sucht) Sculptur, Malerei und deren Schwestcrküuste bei weitem den meisten Raum ein, denn von unsrer Architektur ist nicht viel Positives zu sagen. Der Verfasser „bekennt sich zu realistischen Grundsätzen" was, wie wir denken, jeder thut, der das geistige Leben der Gegenwart begreift. EineKuust. die den Realismus durchaus negiren wollte (so weit dies bei unsrer gegenwärtigen Cultnr überhaupt möglich ist), würde wie ein erotisches Gewächs absterben, dem ein fremder Himmel und ein fremder Boden keine nährenden Stoffe zuführen kann. Damit ist natürlich dem
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