282
hatte Verbindungen genug, um ein richtiges' Bild von dem Charakter der großen Herren zu erhalten. Und wie unbedeutend einzelne seiner Anekdoten sein mögen, sie helfen im Ganzen dazu, Menschen und große Ereignisse in einem neuen Licht zu zeigen. Das Folgende ist eine getreue Übertragung seiner Worte in unsere Redeweise, doch mußte aus seinem weitläufigen, oft durch Mittheilung von Actenstücken unterbrochenen Bericht Einzelnes aus der Reihenfolge herausgenommen werden. Nicht Weniges wurde weggelassen, weil es an dieser Stelle zu verletzend in die Ohren der Leser geklungen hätte.
Vorher einige Bemerkungen. Noch immer fehlt, so scheint uns, den populären Gcschichtswerken über die Neformationszeit zu sehr das entschlossene Urtheil über Zustände und Personen. Nur zu lange hat einseitige Benutzung der Quellen, cvnfcssionelle Befangenheit und das kindliche Bedürfniß der Deutschen,zu verehren, den Blick des Historikers beschränkt. Selbst in dem geistvollen Geschichtswerk eines großen Gelehrten vermißt man zuweilen die ehrliche Rücksichtslosigkeit im Verurthcilen, welche die höchste Pflicht des Geschichtschreibers werden kann. Unter den Ursachen, welche bewirkten, daß dem glänzenden Sonnenaufgang des 16. Jahrhunderts ein lichtarmer Tag und ein Unheil verkündender Abend folgte, ist die Kläglichkeit der deutschen Fürsten die vcr- hängnißvollstc gewesen. Vergebens sucht jetzt unser Blick, wie damals der des Volkes, nach einer kräftigen Männergestalt, die mehr war als ein rücksichtsloser Jäger, ein anspruchsvoller Rvsscbäudiger, im besten, nicht sehr häufigen Falle, ein ehrlicher Hausvater. Der Spanier Karl ist gegenüber den Repräsentanten des hohen deutschen Adels in der That ein scharfblickender und großartiger Staatsmann, Prädicate, auf die er in anderer Umgebung nur bedingten Anspruch hätte. Die deutschen Fürsten standen aber in der Reformationszeit.in ungünstigcrem Verhältniß zu der Bildung und der theoretischen Sittlichkeit ihrer Zeit, als etwa in der Gegenwart. Die charakteristische» Fehler und Laster des letzten Mittelalters, rohe Willkür, Völlcrei, Mangel an geschäftlicher und gesellschaftlicher Gewandtheit, vereinigten sich in ihnen mit den Fehlern der neuern Zeit, Behagen an polizeilichem Despotismus, abschließendem Kastenstolz, gewissenlosem Jntriguiren und Servilität gegen Stärkere. Wol hatte Luther Recht, wenn er mehr als einmal in bittcrem Schmerz über die Unwürdigkeit der hohen Häupter klagte, denen der Schutz Deutschlands oblag, denen auch er mit trüben Ahnungen die Schutzhcrrschaft der neuen Kirche übergeben hatte. Friedrich von Sachsen, den die protestantischen Geistlichen als den Weisen rühmten, weil selbst ihre Schmeichelei nicht wagte, ihn den Großen zu nennen, galt im Ansänge der neuen Zeit für die größte politische Kapacität unter den Fürsten. Und wie in der Regel die Nemesis tüchtige Naturen am stärksten für das Unrecht straft, das sie begangen, so hat sein Geschlecht und mit seiuem Geschlecht das ganze Deutschland schwer da-