Beitrag 
Traumleben auf dem Nil.
Seite
35
Einzelbild herunterladen
 

35

Nachhall des Wehrufs um deu ermordeten Osiris, ein Trauerlied auf den nicht mehr klingenden Memnon. auf das todte .Volk in den Munücngrüften von Theben und Bcni Hasfan. Die steinerne Welt der Monumente thaut auf. die steifen Könige lösen sich von den Wänden, auf denen sie der Meißel ver­ewigte, ihre großen Augen blitzen, das Weibrauchgesäß des Priesters, der ihnen als Göttern räuchert, läßt Wölkchen aus Wölkchen entquellen. Der Harfner aus dem Grabe Ncnnses des Dritten läßt seine viernndzwanzigsaitige Harfe erklingen, und vorüberschweben durch den Weihrauchdampf Amun. der Götter­vater mit den blauen Federn, seinen königlichen Sohn Sesostris an der Hand. Hathor. die Liebesgöttin vom Tempel in Denderah. mit Kleopatras Brustbild von demselben Heiligthum. Isis mit dem Kuhkopf und Thot, der dreimalgroße Gott mit dein Schakalshaupt. Alle werden nur im Profil sichtbar, wie auf den Grab- und Tempelwänden, von denen sie herabstiegen. Dazwischen tönt das übt irn,w fmt der ächzenden Sakiah, das unendliche Bntschischgeschrci des heutigen Geschlechts und davn wieder das Getöse des Triumphzugs Pharao Sisaks. als er den König von Iuda. dessen Bild wir in Knrncck sahen, ge- fangen nach Theben brachte.

Und die Traumgestalten werden plastischer, greifbarer, die Wirklichkeit drü­ben, auf den Ufern, jetzt verklärt, schaut herein in den Kreis der Erinnerungen. Die Fellahweiber mit'den altcrthümlichen Krugen auf den Köpfen verwandeln sich in Frauen der heiligen Geschichte. Die Männer, die auf den von der Abendsonne angestrahlten Feldern nach Mekka gekehrt ihr Gebet verrichten, sind Beter der Urzeit, wo es keine Kirchen nnd Moscheen gab, Zeitgenossen Melchisedets und Abrahams. Der Esel, der von einem Mann mit dem Pil­gerstab getrieben, eine Araberin und ihren Säugling trägt, mahnt an das Bild, das wir nns von der Flucht nach Aegypten machten. Der Ziegenhirt, der aus dem Brnnnenrande sitzt, ist Moses, der- beim Vater Ziporas dient. Der Leichenzug, der mit seinen Klageweibern aus dem Stadtthor guillt und sich über die Schutthaufen herab nach dem Begräbnißplatz hinwindet, mag einen Jüngling von Neun der Mutter entführen. Durch die Palmenhaine aber gießt die Sonne ein Licht,, von dem sich dies alles wie eine Reihe alter Bilder von Goldgrund abhebt.

Von der nnmittelbaren Gegenwart schweift die Phantasie zurück über Thebens Trümmerfeld und die einsame Tempelruine von Ombos. nach den Kata­rakten von Sycne und über die strudelnden, schäumenden Stromschnellen hinaus nach dem stillen Philä, dem einzigen wirklich anmuthigen Landschaftö- bilde am Nil. der ultima 'I'wrlö der meisten Reisenden. Das wild zerklüftete Thal erscheint wieder, dessen dunkelrothe oder bleifarbne Granitfelsen, in rie­senhaften Blöcken auf- und durcheinandcrgeschichtet. uns mit Schauer erfüllten. Der Fluß, hier breit und still wie ein Alpensee. glänzt uns entgegen wie ein