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Kleine ästheitische Streifzüge. 3.
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zudrücken, sondern es erscheint' ihm als Pflicht eines guten Stilisten. Es ist unverkennbar, daß jetzt alle Welt sich bemüht, diese üble Neigung zu be­kämpfen, statt der Person die Sache ins Auge zu fassen, oder, noch dem Kunstausdruck, die sul^ective Form mit der objectiven zu vertauschen, Aber Spuren von der alten schlechten Manier finde» sich noch immer bei sehr be­gabten geistvollen Schriftstellern und auf diese wollen wir bei Gelegenheit einiger neuen Erscheinungen aufmerksam machen.

Ein neues Buch von Niehl: Die Pfälzer, ein rheinisches Volks­bild ^Stuttgart und Augsburg, Cotta) ist das erste in der Reihe. Um nicht ein falsches Norurtheil zu erregen, schicken wir gleich hier voraus, daß wir es mit einem guten, ebenso unterhaltenden als lehrreichen Buch zu thun haben; einem Buch, daö gegen die Naturgeschichte des Volks ein grosser Fortschritt ist. Daß Niehl gut sehn und das Gesehene gut ausmalen konnte, wußte man schon früher, allein er hatte den Fehler begangen, aus einzelnen, zum Theil geistvollen Anschauungen, die aber nach keiner Seite hin erschöpfend waren, ein vermeintliches System zu machen, und deshalb seine Gegenstände in einer falschen Perspektive zu zeigen. Wenn es unzweifelhaft ein Fehler ist, die Wirklichkeit in das Prokrustesbett fertiger abstrakter Regeln zu zwängen, so ist noch viel bedenklicher, Beobachtungen, die für den einzelnen Fall ganz richtig sein können, zu verallgemeinern, ohne sich vorher eine Gesammt- übersicht über das Fel.d,, das man behandeln wollte, zu, verschaffen. In dieses Mißverständniß war aber Rieh! in seiner Naturgeschichte des Volks so häufig verfallen, daß man neben den treffendsten Bemerkungen auf hand­greifliche Absurditäten stieß, auf Absurditäten, die man sich nur erklären konnte, wcnu man sie genetisch erklärte d. h. wenn man sich den individuellen Fall ins Gedächtniß rief, von dessen Anschauungen Niehl ausgegangen war.

Dieser Fehler ist in dem neuen Buch, wenn nicht ganz, doch znm großen Theil vermieden. Der Verfasser behandelt dies Mal einen beschränkten Gegen­stand, den er gründlich studirt hat und der es ihm möglich macht, jede neu erfundene Regel an der Gesammtheit der einzelnen Fälle zu controliren und zu berichtigen. Wenn das Buch trotzdem'keinen ganz reinen Eindruck macht, so liegt das mehr in der Form als im Inhalt.

Zunächst kehrt der Verfasser noch immer mehr als billig den Feuillctonisteu heraus. Im Feuilleton einer Zeitung lesen sich diese Gedankensprünge, diese wunderlichen Jdeennssociativnen, diese Mischung des ernsten und des burlesken Stils ganz artig, aber im Buch verlangt man doch etwas Anderes. Es handelt sich nicht blos um den richtigen ästhetischen Eindruck, der Fehler geht vom Stil in die Sache über, da der Witz und der Humor nicht selten den Verfasser verfuhrt, die Gegenstände blos als künstlerische Objecte zu betrachten d. h. aus ihnen zu machen, was sich grade für die Stimmung schickt. Er