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Kleine ästhetische Streiszüge. 3.
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den wir nirgend so unumwunden ausgesprochen, als in diesen Vorlesungen des angeblich reactionärcn Professors.

Schon das Princip, das er an die Spitze seiner Untersuchungen stellt, ist von der, Art, selbst den rücksichtslosesten Liberalen stutzig zu machen. Er behauptet nämlich in bnarem Ernst und er behauptet es als allgemeine Re­gel, dem Studenten stehe die Wahl des Staats und der Reiigionöpartei frei, der er fortan angehören wolle. Also ans der Sphäre der Substanzialität sind wir in den wildesten Individualismus gerathen. Thatsächlich läßt sich freilich für diese Behauptung in Deutschland leider viel anführen, denn für sehr viele Deutsche würde die Frage, ob sie überhaupt zn einem Staat gehören, schwer zu beantworten sein. Aber Erdmunn hält j'a seine Vorlesungen in Preußen, einem Staat, dem er selber viel schone Dinge nachsagt, und da ist eS doch wol unglaublich, daß man ein Verhältniß, Das im einzelnen Fall entschuldigt werden kann, gradezu zur Norm stempelt. Ist der Studirende denn wirklich in diesem Sinn frei? mnß er erst mit sich zu Rathe gehen, ob er in dem Verbände, in dem er geboren und aufgewachsen ist, auch wirklich bleiben, ihu> seine Kräfte weihen will/-! Uns wenigstens geht dieser Liberalismus zn weit, nnd wir bekennen uns ihm gegenüber als reaclionär; wir halten es für Pflicht, innerhalb der sittlichen Gemeinschaft zu wirken, die wir nicht ge­wählt haben, sondern an die uns daS Schicksal oder die Vorsehung gewiesen hat. Und dieses Princip steht bei Erdmann nicht isolirt, in ihm verknüpfen sich vielmehr alle Fäden seiner Gedanken. Die Art uud Weise, wie er die neuen politischen Zustände.seines Vaterlandes schildert z. B. 126/i0 ist von dem Vorwnrf arger Frivolität nicht frei zu sprechen. Wir erkennen den Stand­punkt, der in der eonslitutionellen Verfassung einen Abweg von der echten preußischen Entwicklung sieht, obgleich wir ihn bekämpfen, als vollkommen berechtigt an; aber auf diesem Standpunkt steht.Erdmann nicht. Er läßt sich die constitutivnelle Verfassung gefallen, wie jeder andere, und bemüht sich nur, den jungen Stndirenden, die er grade an eine ernste und tiefe Auffassung der sittlichen Zustände gewöhnen sollte, dieselbe in ihrer vermeintlichen Lächer­lichkeit bloS zn stellen, alle seine Lehren gehen auf daö berlinische*:laßt euch nicht verblüffen!" heraus. Indem er auf die Witze aufmerksam macht, mit denen die Deputirten einander cWNlsiren, zieht er daraus den Schluß, daö gesammte Verfassungöleben sei eine Windbeutelei, ohne daran zu denken, baß er in demselben Augenblick viel ärger sündigt als die Männer, die er verklagt. Wenn Herr von Gerlach in der Kammer mitunter einen Witz macht, der nicht zur Sache gehört, so thut er es vor Ebenbürtigen, vor Männern, die zwischen Scherz und Ernst sehr wohl zu unterscheiden wissen, Erd­mann dagegen thut-vor Jünglingen, die nach seiner eignen Erklärnng in ihrer Bildung noch nicht serlig sind, die seiner frivolen Lebensauffassung noch