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das seit dem Anfang deS Jahrhunderts gefühlte Bedürfniß nach einer einigen obersten Schulbehörde. Jetzt ist eine solche nur für die Staatsschulen da und obendrein sitzen in ihr nur zum kleinen Theil Sachkundige.
Die Privatschulen der Stadt stehen einzig unter der Geistlichkeit, die des LandgebietcS unter dem betreffenden Geistlichen und einem Senator, der Landherr ist. Trotz dieser veralteten Ordnung oder vielmehr Unordnung haben sich allerdings grade unsere Privatanstalten in erfreulicher Frische herausgearbeitet und werden an Tüchtigkeit auswärtigen Schulen keineswegs nachstehen; indessen ließe sich diese Entwicklungssrciheit nach verschiedener Richtung mit zeitgemäßen Schulgesetzen wol vereinigen. Es ist niemals gut, wenn nur der Zufall dem Mißbrauch der Willkür Einhalt thut, und gehört eine vernünftig geregelte Schulordnung gewiß zu den ersten Voraussetzungen jeder künftigen Entwicklung unserer öffentlichen Bildungsanstalten.
Wie eifrig grade in Hamburg die Privatthätigkeit von verschiedener Richtung ihre Aufmerksamkeit der Erziehung zuwendet, davon zeugen die 1833 von vr. Wichcrn ins Leben gerufene, unter dem Namen das „Rauhe HauS" bekannte Besserungsanstalt für verwahrloste Kinder — die in den letzten Jahren entstandenen fröbelschcn Kindergärten — uud das, waS namentlich für die Hebung der weiblichen Bildung erstrebt ward.
Der Werth aller dieser Bestrebungen ist freilich vielfach bestritten; aber unverkennbar spricht doch eine geistige Regsamkeit aus ihnen und keine von ihnen ist ohne brauchbare Elemente geblieben.
Das Rauhe Haus hat in seiner Einrichtung so viel Interessantes, daß kein Fremder versäumen sollte, es zu besuchen. In einer reizenden nahe» Umgegend Hamburgs besitzt die Anstalt mit einigen gepachteten Feldern im Ganzen il Morgen Landes. Von einem Punkte ihres Gartens aus sieht man 2 Meilen weit über das Thal der Flüsse Bitte und Elbe und in der Entfernung einer Stunde erblickt man Hamburg in weitester Ausdehnung. Auf diesem schönen und gesunden Fleckchen Erde liegen hie und da zerstreut unter Obstbäumcn und von kleinen Gärtchen umgeben 14 Gebäude, die zu verschiedenen Zwecken dienen. In ihnen leben und arbeiten gegen 200 der Anstalt zugehörige Menschen, darunter gegenwärtig 73 Knaben, 3i Mädchen 6 Oberhelfer, i0 Brüder und 15 Pensionäre. Die letztern sind verwahrloste Kinder der höhern Stände, für die erst in den letzten Jahren ein eigenes und von der Anstalt in gesonderter Verwaltung eristirendes Pensionat gegründet ward. Die Oberhelfer sind Kandidaten; sie führen nächst zwei Jnspectorcn, die unter Wichern als Hausvater an der Spitze des Ganzen stehen, die höhere Aufsicht über Unterricht und Leben. Ihnen folgen die-Brüder, die eine Genossenschaft bilden, deren Dienste im Gebiete der innern Mission nicht auf daS Rauhe Haus beschränkt bleiben. Sie werden als Gefängnißwärter,
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