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Otto Ludwig.
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ist die Zumuthung nicht so gewaltsam, das Princip der Ehre geberdet sich zwar sehr eigensinnig, aber an sich hat es allgemein menschliche Berechtigung. Am meisten ist es Auerbach gelungen, die Einheit der Stimmung festzuhalten, weil er daS sittliche Motiv, aus dem das Schicksal entspringt, offen zum Gegenstand seiner Kritik macht. Gleichviel also ob wir ihm beipflichten oder nicht, wir wissen, um was es sich handelt. Dabei kam ihm freilich die Form des Romans zu Hilfe, denn durch Beschreibung und Reflexion läßt sich vieles verständlich machen, was uns beim bloßen Anschn nicht einleuchten will.

Darum ist auch künstlerisch betrachtet Otto Ludwigs Roman: Zwischen Himmel und Erde gegen den Erbförster ein großer Fortschritt. Das Talent des Dichters hat in dem breitern Nahmen Gelegenheit, sich mit seiner ganzen Sinnigkeit und Kraft zu entfalten. Freilich ist der Eindruck auch hier ein peinlicher. Abgesehn davon, daß es unerlaubt sein dürfte, den Leser längere Zeit hindurch im ftrcugsten Sinne des Worts zwischen Himmel und Erde d. h. im Zustand deö greulichsten Schwindels zu halten, ist die Breite, mit der ein Lump der gemeinsten Sorte sich erplicirt, in keinem Verhältniß zu dem Po­sitiven des Romans, und die Entwicklung des Knotens wird nur wenig Leser befriedigen. Mochte auch die Entsagung durch die wilden Scenen, die voran­gegangen sind, mit Nothwendigkeit geboten sein, die Form der Entsagung, wie sie der Dichter schildert, verstößt so gegen alle Analogien der menschlichen Natur, daß man sie nur bei einem Mann begreift, der neben seiner Tugend und Charakterstärke zugleich ein wunderlicher Heiliger, ein Original ist. In der That hätte Otto Ludwig nur kleine Nuancen hinzufügen dürfen, um an Apollonius auch die komische Seite hervortreten zu lassen; er durfte es nicht, weil er damit die trübe und ernste Stimmung seines Romans beeinträchtigt hätte, aber die natürliche Folge ist, daß wir bei seinem Gemälde etwas ver­missen.

Mit einem Wort, die einzige poetische Form, durch welche dieser Realismus seine Berechtigung in der Kunst erwirbt, ist der Humor; der Dichter muß im Stande sein, die Unreife der Bildung, die er darstellt, unserer Anschauungsweise dadurch zugänglich zu machen, daß er den komischen Contrast hervorhebt, ohne dadurch den innern Ernst seiner Erzählung abzu­schwächen. Es ist auch die einzige Form, in der wir uns Kinder verständlich wachen. In den kleinen Leiden, in den unreife» Leidenschaften der Kinder liegt oft so viel Sinniges und Reizendes, daß nur ein rohes Gemüth sie an dem nüchternen Rationalismus seines eigenen Alters mißt. Wer für die Ver­schämtheit, für die innern Kämpfe, für die Träume und Einbildungen der Kindheil keinen Sinn hat, wird in die tiefern Geheimnisse der Poesie überhaupt wenig ein­gedrungen sein. Aber nur die tolle Sentimentalität unseres Jahrhunderts hat eS möglich gemacht, dieses unentwickelte Kleinleben der Seele in gleichem Ernst