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trauen des Volkes, gleichviel ob durch Abweichung von den dem Lande wohlbekannten Grundregeln chinesischer Gerechtigkeit oder durch jene von seiucm Willen nicht abhängenden Naturereignisse, so entsteht zuerst Gleichgültigkeit, Verachtung und Unzufriedenheit, dauu bilden sich Räuberbanden, es brechen einzelne Aufstände aus, und endlich entwickelt sich eine Bewegung, die auf einen Dynastiewechsel hinstrebt. Hat diese Bewegung nur einigen Erfolg, so wird derselbe als Beweis angesehen, daß die herrschende Familie die göttliche Vollmacht nicht wehr besitzt, und die Empörung gilt fortan nicht bloS als verzeihlich, sondern als vom Himmel geboten. So ist die Regierung Chinas zwar eine entschiedene Autokratie, aber kein Despotismus. Das chinesische Volk hat nicht daS Recht der Gesetzgebung, uicht das Recht der Selvstbefteue- rung, aber es hat das Recht der Revolution,
China wird ferner in gewissem Sinne bureaukratisch regiert. Aber daS Heer der Beamten hat, bevor eS zur Anstellung gelangt, seine Brauchbarkeit durch eine Reihe strenger Prüfungen darzuthun. Alle drei Jahre werden die Candioatcn jeder Provinz in der Hauptstadt derselben iu der alten Nationalphilosophie, der Sittenlehre, der Negierungskunst, NeichSgeschichie, Gesetzeskunde und im Stil eraminirt. Sechs- bis achttausend Candidaten erscheinen bei diesen Provinzialprüfuugen, aber nur etwa zwölfhundert werden zu dem Grade eines Licentiaten, (Kiu Tschin) zugelassen. Die Lieentiatcn können sich dann zu dem ebenfalls aller drei Jahre in Peking stattfindenden Examen melden, wo durchschnittlich zweihundert den höchsten Grad, etwa unsrer Doctorwürde vergleichbar, erlangen. Die niedrigste Censur gibt kein Anstellungsrecht, die Zweite verleiht Anwartschaft auf einen Posten, die dritte ist mit sofortiger Ernennung wenigstens zum Districtsbeamten verknüpft. Mau sieht hieraus, daß Fülle, wo ein Stallknecht oder ein Barbier durch die Laune des Despoten zu den höchsten Stellen erhoben wird, in China unmöglich sind. Andrerseits gibt es hier alier auch keine Bevorzugung einzelner Stände, da Leute aller Classen durch fleißiges Studium zur Licentiaten-, Doctoren- und Maudarinenwürde, und, wenn das Glück sie begünstigt, zu den einflußreichsten Posten im Rathe deö Kaisers gelangen können.
Von denen, die bei den Prüfungen keinen Grad erlangen, sind viele cben- N'llö fähige und unterrichtete Leute, da bei der im Verhältniß zu dem Andrang von Candidaten geringen Menge von Titeln uud Aemtern nur die ausgezeichnetsten Bewerber berücksichtigt werden können. Diese Zurückgewiesenen treten unter das nichtosficielle Volk zurück, und die energischeren unter ihnen spielen ^e Rolle von Demagogen, denen gegenüber die Beamten sich keine Blöße Leben dürfen, da sie ihnen damit eine Handhabe für ihre Umtriebe bieten würden. So aber ist der Mandarin nicht blos von oben, dnrch die „Augen und Ohren des Kaisers", sondern auch von unten beaufsichtigt, und die letztere