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mein Herz nicht vertheidigen. Niemals werde ich den Teccmberabend vergessen, wo der Schleier, der meinen Unglauben vor mir selbst versteckte, zerriß. Noch höre ich meinen aufgeregten Schritt in der engen Kammer, noch sehe ich den halb verhüllten Mond, der von Zeit zu Zeit durch die gefrorenen Fenster schien; eine Stunde der Nacht drängte die andere, ohne daß ich eS merkte. Angstvoll verfolgte ich den Lauf meiner Gedanken, die immer tiefer in den Schacht meines Gewissens eindrangen, eine Illusion nach der andern zerstörten und mir seine verborgensten Windungen enthüllten. Vergebens klammerte ich mich an die letzten Neste meines Glaubens, wie ein Schiffbrüchiger an das Wrack; vergebens rief ich ich mir zum letzten Male, erschreckt von der Leere meiner Zukunft, meine Kindheit zurück, meine Familie, meine Heimath, alles was mir theuer und heilig war. — Der Strom meines Gedankens war zu stark, Eltern, Familie, Erinnerungen, Glauben, ich mußte alles aufgeben. Jetzt wußte ich, daß im Grund meiner Seele nichts fest stand; der Augenblick war schrecklich, und als ich mich deS MvrgenS erschöpft aus mein Bett warf, schien es mir, als ob mein erstes Leben mit seiner lachenden Fülle erloschen und^ als ob hinter mir ein anderes sich öffnete, finster und gestaltlos, wo ich fortan einsam leben sollte, einsam mit dem Gedanken, dem ich hätte fluchen mögen. Die Tage, die auf diese Entdeckung folgten, waren die traurigsten meines LebenS. Obgleich mein Verstand mit einigem Stolz sein Werk betrachtete, konnte sich mein Gemüth nicht in einen Zustand finden, der so wenig für die menschliche'Schwäche gemacht ist. Durch krampfhafte Anstrengungen suchle eo vaö verlorene Ufer wieder zu gewinnen und einzelne Funken in der Asche seines Glaubens erweckten in ihm nene Hoffnungen; aber sie erloschen bald; denn die Ueberzeugung, die durch den Verstand gestürzt ist, richtet sich nicht von selbst wieder auf." — Das ist nicht die Sprache eines Denkers von Profession, aber, eineö echten Menschen, der auch durch seine Irrthümer unser Theilnahme erweckt. Das Werk der Zerstörung war nicht so weil gegangen, als er fürchtete; zum alteu Glauben konnte er nicht wieder zurückkehren, aber die aus demselben hervorgegangenen Hoffnungen uud Wünsche wirkten bestimmend auf sein Nachdenken ein, uud so gewissenhaft er iu seiuer Methode war, das Ziel, »ach dem er strebte, lag bestimmt vor seinen Augen. Er suchle in der Philosophie, die noch im Werden begriffen war, die Lösung seiner angstvollen Zweifel; er suchte sie nicht in den Büchern, die ihm wenig boten, sondern in der stetigen Selbstbeobachtung. Er wollte den Zweck des Lebens kennen lernen, weil er nur in dieser Erkenntniß Nuhe zu finden glaubte. Cousin hatte mit der Entschlossenheit eines Franzosen der Jugend seine Lehre von vornherein als die nützlichste dargestellt und sie auf alle Richtungen deS sittlichen Geisteö augewendet. Jouffroy, ängstlicher und gewissenhafter, beschränkte sein Studium auf die Feststellung der Phänomene der Seele, da er nur hier klar zu seyen Greuzbvtett. III. ->L67.