80
den Glauben seine Bedeutung." Mit treffendem Spott geißelt er die Neigung, mit Citaten ans der Bibel, die doch immer nur auf eine ganz bestimmte Anwendung berechnet sind, absolute Wahrheiten erledigen zn wollen. — Stahl sragt einmal: „Thut es der resormirten Kirche Abbruch, wenn ich mich mit der Ahnung trage, daß die katholische Kirche zufolge ihrer ununterbrochenen Kontinuität aus dem apostolischen Zeitalter, nach der sie Irrthümer angesetzt, aber auch alle Erzeugnisse tiefer kirchlicher Ncguug bewahrt hat, noch eine besondere Mission im Reiche Gottes haben möge?" Müller erwidert daraus sehr richtig: „Das ist gradcso, als wenn ich sagen wollte: Thnt es dem Christenthnm Abbruch, wenn ich mich mit der Ahnung trage, daß das Judenthum vermöge seines ununterbrochenen Zusammenhanges mit Abraham, dem Entdecker des persönlichen Gottes, noch eine besondere Mission im Reiche Gottes haben möge? Es thnt allerdings nicht nur der resormirten, sondern auch der lutherische» Kirche sehr großen Abbruch. Das Judenthum und die katholische Kirche sind Gefäße oder Formen gewesen, in denen eine Zeitlang der lebendige Glaube an Gott und an Christinn genährt und erhalten worden; aber das Leben ist ihnen ausgegangen." — Der Philosoph kann darüber anders denken, der evangelische Christ aber nicht. — Zuletzt, als es sich über Friedrich den Großen und den Beruf des preußischen Staats handelt, erhebt sich der Verfasser zu einer ernsten sittlichen Wärme. „Du ahnst die wiederkehrende Bedeutung und Größe des Papstthnms, weil das gcmüthlosc, kahl verständige, nur auf Berechnung und Raffinement begründete System desselben der Natur Deines Denkens und Thuns entspricht; aber sür wahre Größe, für den göttlichen Beruf des preußischen Staates hast Du keinen Sinn. Du bist auch kein Preuße, weder dem Blute uoch dem Geiste nach, Dein Herz schlägt Dir nicht höher, Deine Wangen erglühen nicht, wenn Du von den Großthaten des preußischen Volkes hörst. Du hast uicht die großen Augcu Friedrichs in der dnnkclu Zeit unserer Schmach unwillig ans uns hcrabblicken scheu, Du weißt nichts davon, daß der Geist der Leuthenschlacht unsere Krieger beseelte, als sie ihre großcu Siege bei Dennewitz, Wartcnburg und Möckern errangen." — Und das ist in der That bei dem ebenso geistvollen als gelehrten Führer der preußische» Junkcrpartei die handgreiflich hervortretende schwache Seite.
Karl Otsricd Müllers Geschichte der griechischen Literatur bis auf das Zeitalter Alexanders. Nach der Handschrift des Verfassers herausgegeben von Dr. Eduard Müller. Zweite Ausgabe. Zwei Bände. Breslau, I. Max uud Co. 1837. — Auch bei dieser neuen Ausgabe hat der Verfasser streng an dem Grundsatz festgehalten, nur die Ansichten seines berühmten Bruders klar hervortreten zu lassen nnd sich des eignen Urtheils zu cuthalten. Dagegen sind einzelne in Beurtheilungen der ersten Ausgabe oder auch sonst nachgewiesene Verschen nnd Irrthümer dankbar berichtigt, in orthographischen nnd ähnlichen Bezichnngcn mehr Gleichförmigkeit erzielt, anch an mchren Stellen ans Gegenbemerkungen gegen des Verfassers Ideen uud Untersnchnngcn, so weit sie in dem Herausgeber zugänglichen Schriften nnd Aufsätzen sich vorfanden, kurz hingewiesen, namentlich aber bei Citaten die Bedürfnisse deutscher Leser in gebührender Beachtung von verschiedeneu Seiten ausgegangener Erinnerungen besser berücksichtigt worden.
Verantwortlicher Redacteur: v. Moritz Vusch — Verlag von F. L, Hering
in Leipzig.
Druck von C, E. Elbert in Leipzig.