328
sich hören zu lassen, so sang er von der ersten Schüssel bis zum Dessert durch alle Octaven. In nichts blieb er sich gleich. Manchmal lief er, als wenn er gejagt würde, dann schritt er wieder wie in einer Processton einher. Heute hatte er zweihundert Sklaven, morgen zehn. Bald erging er sich in fürstlichen Phantasien, bald wünschte er sich weiter nichts, als einen einfachen Tisch, Brot und Salz und einen groben Mantel, als Schutz gegen die Winterkälte. Erhielt dieser genügsame Idylliker ein Capital zum Geschenk, so war in fünf Tagen kein Pfennig mehr in seiner Kasse. Die Nächte wachte er bis zur Frühe, und verschnarchte den Tag.
Wenn schon unter Cäsar und August musikalische Virtuosität den Weg zu Reichthum und Berühmtheit bahnte, so begann doch ihre eigentliche Blütezeit erst unter Nero und dauerte mindestens über den Tod Domitians hinaus. Dem Cithariden ManecrateS, (vermuthlich derselbe, dessen Composttionen Trimalchio „mißhandelte") schenkte Nero einen Palast und ein fürstliches Vermögen. Aber selbst der haushälterische Vespasian war gegen musikalische Cele- britäten sehr freigebig. Bei der Einweihung des von ihm restaurirten Theaters des MarcelluS traten auf seinen Wunsch einige berühmte Veteranen wieder auf, alle erhielten sehr bedeutende Belohnungen, zwei Cithariden (deren einer, Terpeus, Neros Lehrer gewesen war) je 50,000 Franken. Eine Hauptquelle der Einnahme war der Unterricht, den die Virtuosen in vornehmen Häusern ertheilten; die ihnen gezahlten Honorare erregten den Neid der schlecht besoldeten Gelehrten. „Du fragst mich, lautet ein Gedicht Martials, welchen Unterricht du deinem Sohn ertheilen lassen sollst? Nur ja keine wissenschaftliche Erziehung! Nie laß ihn ein Buch von Cicero und Virgil in die Hand nehmen! Legt er sich aufs Versemachen, so enterbe ihn. Soll er eine Kunst lernen, die Brot gibt, so mag er die Cither oder die Flöte lernen." Voll Verdruß über das Fehlschlagen seiner Hoffnungen in Rom, wo er sein Glück zu machen gedacht hatte, wanderte Martial aus und erklärte, nicht eher zurückkommen zu wollen, als bis er Citharide geworden sei.
Den leidenschaftlichsten Enthusiasmus fanden die Virtuosen bei den Frauen: eine schöne Stimme war unwiderstehlich, und die (-Kroni-ius seancla- leuse behauptet, daß die Lieblinge des musikalischen Publicums ihre Gunst an vornehme Damen sogar theuer verkauften. Eine Dame von uraltem Adel, erzählt Juvenal, habe durch ein feierliches Opfer Gewißheit zu erhalten gesucht, ob Pollio (ein damals berühmter Citharide) sich zu dem nächsten capitolinischen Wettkampf als Mitbewerber anschreiben lassen sollte, und ob er den Preis davon tragen werde. Was konnte sie mehr thun, fragt der Dichter, wenn ihr Mann krank war, oder die Aerzte über den Zustand ihres Sohnes Besorgnis) äußerten?
In den Dienst des Luxus war die Musik schon in der letzten Zeit der