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Korrespondenzen.
Die neuenbnrger Frage. Berlin, i. Januar. — Die Rechtsfrage allein, die seit acht Jahren zwischen Preußen und der Schweiz schwebte, hätte weitere Zögernng gestattet oder vielmehr erheischt, denn die Anerkennung, die im londoner Protokoll dem Recht der preußischen Dynastie auf Nenenburg gegeben wurde, hatte Preußen durch das Versprechen erwiedert, die Geltendmachnug dieses, Rechtes der Vermittlung der Großmächte zu überlasscu und damit seiner selbstständigen Action gewisse Schranken auferlegt. Um dieselbe wieder srei zu machen, bedürfte es eines neuen Moments, und ein solches trat durch den verunglückten Scp- tembcraufstand hinzu. Der Proceß gegen die Royalisten fügt zur Frage des Rechtes eine Frage der Ehre und während die Lösung jener einen langen Aufschub zuläßt, fordert die Losung dieser schnelle Entscheidung. Die Vermittlung der Großmächte, für welche das londoner Protokoll keinen bestimmten Termin setzt, begrenzt sich von selbst in Betreff des Processes der Royalisten. Denn Preußen, welches ihre Freilassung vor der Anklage und Aburthcilnng verlangt, kann, wenn die Schweiz dies Ansinnen zurückweist und mit dem Processe vorschreitet, nicht uu- thätig zuschauen. Es muß handeln, nm dem zuvorzukommen, was es als eine Antastung der Ehre seiner Dynastie erklärt hat.
Man hofft hier um so mehr ans einen friedlichen Ansgang, als man sich sagt, daß die Verbindung Neuenburgs mit der preußischen Krone letzterer niemals den geringsten Vortheil gebracht, daß sie vielmehr stets eine Quelle von Verlegenheiten für sie gewesen sei. Das Fürstenthum wurde 184 t als Eanton der Schweiz zugetheilt, weil die preußische Negierung damals erkannte, daß es vereinzelt, ein völlig verlorener Posten und bei jedem Conflict mit Frankreich diesem Preis gegeben sei; sollte Ncuenburg jetzt wieder an die preußische Dynastie zurückfallen, so würde es, bei der gegenwärtigen Verfassung der Schweiz, aufhören müssen, derselben anzugehören. Was man 181i für eine unhaltbare Situation angeschn, würde also jetzt nnter erschwerenden Umständen nach beiden Seiten, nach der Schweiz, wie nach Frankreich hin — versucht werden müssen. Eine gänzlich werth!osc Besitzung würde nur durch eine im Frieden kostspielige, im Fall eines Kriegs mit Frankreich ohne Rettung Verlornen Trnppenmacht zu halten sein. Diese Erwägungen glaubte man um so mehr von der preußischen Negierung getheilt, als man in für officiös gehaltenen berliner Zeitungen, so wie in anerkannten Organen des Cabinets der Tnilcrien es ausgesprochen sand, nicht auf den Be sitz Neuenbnrgs, sondern nnr auf die Anerkennung des Rechts und die Wahrung der Ehre seines Königs lege Preußen einen Werth.
In ihrem Memorandum sucht die Bundesregierung außer der Hervorhebung der politischen Zweckdienlichkeit — und dies ist die unleugbar starke Seite des schweizerischen Standpunktes — auch die völlige Ncchtmäßigkcit der jetzigen Zustände in Ncuenburg uachzuwciseu. Es braucht kaum gesagt zu werde«, daß ihre Beweisführung eine ernste Prüfung nicht aushält. Daß der König von Preußen, im Widerspruch mit seiner Verpflichtung gegen die Stände von Ncuenburg, 1806 das Fürstenthum an Frankreich abgetreten habe, ist, läge nicht selbst die Rechtfertigung