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auch dem Volk die Früchte dieser Forschungen zugänglich zu machen. Manche Punkte sind mit wissenschaftlicher Strenge festgestellt, zu andern ist wenigstens die fruchtbarste Anregung gegeben. Leider sind die ausgezeichneten Schriftsteller, denen wir diese Arbeiten verdanken, durch die bisher übliche philosophische Terminologie verführt worden, in so manchen ihrer Lehrsätze nicht blos dunkel für das Publicum, sondern unklar gegen sich selber zu sein. Das gilt namentlich von dem geistvollsten und gelehrtesten dieser Aesthetiker, von Nischer. Wir haben bereits bei einer frühern Gelegenheit darauf aufmerksam gemacht, daß das Bedeutende in seinem Werk lediglich in den Ercursen zu suchen ist, während die Lehrsätze, die er an die Spitze seiner Paragraphen gestellt hat, im besten Fall hinter einem unbequemen Wortschwall einen ziemlich einfachen Gedanken verstecken, zuweilen aber auch gar nichts sagen. Daß der Verfasser selbst, der bei seiner hohen Bildung und seinem scharf eindringenden Verstand an einem fremden Schriftsteller diese Fehler sehr bald rügen würde, diese Kritik gegen sein eignes Werk ausüben wird, ist jetzt nicht mehr zu erwarten, und wenn sich also ein fremder Schriftsteller dieser Mühe unterzieht, woraus freilich ein ganz selbstständiges Werk hervorgehen muß, so wird man es ihm nur Dank wissen. Wenn aber das Unternehmen realen Gewinn bringen soll, so muß der Verfasser nicht von einer metaphysischen, sondern von einer technischen Bildung ausgehen; er muß das empirische Material der Künste in seiner ganzen Fülle beherrschen, um für die metaphysischen Lehrsätze seines philosophischen LehrerS überall den richtigen Maßstab und das Regulativ zu finden. Das ist hier aber nicht der Fall. Joseph Bayer gehl ebenso wie Bischer von der philosophischen Bildung aus, und zwar von einer Bildung, die an Reife doch noch immer hinter der seines Vorbildes zurückbleibt. Zwar ist es ihm gelungen, so manchen Satz einfacher und deutlicher auszudrücken; dafür geht er aber häufig aus Mangel an technischer Vorbildung noch tiefer in die abstrakte Formel ein, und was das Schlimmste ist, er sucht seiner Darstellung durch poetisirende Prosa einen größern Reiz zu geben. Man möge aus der folgenden Stilprobe beurtheilen, ob daraus für den Leser eine wirkliche Einsicht in die Sache hervorgehn soll. (Seite 2Lö) „Das Wesen der Architektur und Musik ist also, um es schließlich kurz zusammenzufassen, kein anderes, als das allgemeine Wesen der Kunst überhaupt, das sich als solches auch noch einen besondern Kunstausdruck geben will. In der unendlich beredten, gradezu unerschöpflichen Mannigfaltigkeit der architektonischen und musikalischen Formen ist im Grunde nichts Anderes zum Ausdruck, gekommen, als das einfache „Ich bin" vcö Kunstgeistes, daS sich aber dieser in seinem idealen Sinn schwelgend nicht vielfach genug wiederholen kann, sobald er seiner selbst in dem Tvtalgefühl eines Volkes oder in dem individuellen Gefühl des Einzelnen gewahr geworden. Beide Künste sind in ihrem gegenstandslosen Schaffen nur