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Philosophische Versuche.
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werden, was die bisherigen philosophischen Bestrebungen Positives und Blei­bendes geschaffen haben; vielleicht wird sich daraus ergeben, daß jene große Arbeit, so viel Willkür und Uebereilung auch damit verbunden war, doch nicht ohne erhebliche Frucht geblieben ist.

Sodann muß die Philosophie, um ihren Hauptgegenstand, den Geist, gründlich prüfen zu können, sich dasjenige aneignen, was die Naturwissenschaft über, die endlichen Vorbedingungen des Geistes festgestellt hat. Abgesehen von dem materiellen Gewinn, den sie daraus zieht, wird sie dadurch auch zu dem unschätzbaren Fortschritt veranlaßt werden, genau zu unterscheiden zwischen dem, was sie weiß, und dem, was sie nicht weiß. Die Naturwissenschaft be­gnügt sich bei ihrem Gegenstand, der Natur, damit, dasjenige zu behaupten und zu erklären, was sie beweisen kann; die Philosophie dagegen hielt sich für ver­pflichtet, ihren Gegenstand, den Geist, vollständig darzustellen und zu erklären. Wenn sie also über eine bestimmte Seite ihres Gegenstandes nichts zu sagen wußte, so ließ sie sich einfallen, was ihr eben einfallen wollte, und verwan­delte ihre Einfälle sofort in eine Doctrin. Ein wissenschaftlicher Fortschritt der Philosophie wird erst dann möglich sein, wenn man diesen Dilettantismus des Mcinens und Behauptens ein für alle Mal aufgibt,

Was endlich die Anwendung der Philosophie auf de»n concreten geistigen Gebiete betrifft, so wird die Philosophie sich dazu bequemen müssen, von innen heraus zu arbeiten d. h. sie wird in der Religion, in der Rechtswissenschaft, in der Geschichte u. s. w. nicht ein außenstehendes, metaphysisches Princip illustriren und eremplisiciren wollen, sondern sie wird mit dem großen Sinn und den weiten Perspectiven, die sie aus ihrer eignen Thätigkeit gewonnen, nur den Gegenstand selbst in seiner reinen und unverfälschten Form erscheinen lassen. Einer der Schriftsteller, der uns zu diesen Bemerkungen veranlaßt, Heinrich Rückert/) charakterisiert in der Vorrede sein Unternehmen folgender­maßen.Wer sich die Mühe geben will, das Buch genauer anzusehen, wird finden, daß es sich darauf beschränkt, den thatsächlichen Stoff der Geschichte in seiner ganzen Kraft und in seinem ganzen Rechte bestehen zu lassen, und daß demselben nirgend durch ein von außen hereingetragenes Princip des systematischen Denkens zu nahe getreten ist. Man wird, hoffe ich, ebenso­wenig in der Auffassung des innern Ganges der weltgeschichtlichen Entwicklung, wie in der pragmatischen Verknüpfung ihrer einzelnen Phänomene irgendwie eine willkürliche oder blos subjective Construction finden. Es wird nichts weiter vorausgesetzt, als der allgemein zugegebene Inhalt unsers sittlichen Bewußtseins; alles andere, was das Buch enthält, beweist und erklärt sich, so weit es über-

*) Lehrbuch der Weltgeschichte in organischer Darstellung. Zwei Bände. Leipzig, T. O, Weigel.