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und daß die sonst so sehr widerstrebenden Interessen der Höfe sich gleichsam in einem Brennpunkt vereinigt haben. — — —
Wie viel mehr ist es erst für mindermächtige deutsche Fürsten Pflicht, sich auf das engste an Rußland anzuschließen, da sie hier nicht nur einen mächtigen Bundesgenossen gegen ihre Unterthanen, sondern auch bei allen Streitigkeiten unter sich einen erhabenen Schiedsrichter und eine Schutzwehr gegen den Einfluß und die Ansprüche der deutschen Nativnalinteressen finden, die so oft mit den ihrigen im Widerspruch stehen. Mit einem Worte, es ist offenbar, daß in der jetzigen Epoche Nußland allein den deutschen Fürsten für ihre Souveränetät und Unabhängigkeit die Gewähr leisten kann, welche sie zur Zeit des Rheinbundes bei Napoleon zu finden gewohnt waren. —
Freilich muß unsere guten Fürsten, wenn sie am russischen Hofe erscheinen, die Vergleichung der treuen Unterwürfigkeit dieses Volkes mit dem widerspenstigen Geiste ihrer eignen Unterthanen schmerzlich betrüben; aber diese bittern Empfindungen werden doch durch den wohlthätigen Einfluß reichlich aufgewogen, den das Vorbild eines wahren Regenten und die Negierungs- methode, welche sie dort in ihren so glücklichen Erfolgen beobachten, nothwendig auf, ihre eignen Entschließungen ausübt. Sie kehren dann gestärkt und gestählt in ihre Residenzen zurück, und ihr Ohr bleibt um so gewisser taub gegen die Einflüsterungen, welche sie zu gefährlicher Nachgiebigkeit gegen die vermeintlichen Freiheits- und SelbstthätigkeitSbedürsnisse ihrer Unterthanen, und zu eitlem Popularitätsgewinn verleiten möchten.--
Sie entschuldigen gewiß, lieber Vetter, wenn ich mich bei der Betrachtung so wichtiger Interessen, die mein ganzes Herz erfüllen, etwas länger verweilt habe, und dadurch von meinem Vorsatze abgelenkt wurde, zu dem ich nun zurückkehre. Der warme verwandtschaftliche Antheil, den ich an Ihrem Glück und an Ihrem Successe in der Welt nehme, veranlaßt mich, Ihnen einige Bemerkungen und Verhaltungsregeln mitzutheilen, welche das Resultat meiner langen Erfahrung in dieser Laufbahn sind. Ich thue es mit um so größerem Vergnügen, je mehr Ihre Bildung und Ihre Talente mir die Gewißheit geben, daß Sie von diesen Bemerkungen den vortheilhaftesten Gebrauch machen werden.
Sie kennen die Welt genug, um zu begreifen, daß schwerfälliges Wissen' in keinem Fache des Staatsdienstes ein sicheres Mittel der Beförderung ist. Könnten Sie noch zweifeln, so'blicken Sie umher und fragen Sie sich,' wodurch Männer, welche die höchsten Ehrenstellen bekleiden, emporgekommen sind? Sie werden finden, daß diese ihr Glück der Gewandtheit verdanken, mit welcher sie sich in Verhältnisse zu schicken gewußt haben. Sie werden um so weniger nöthig haben, sich mit wissenschaftlichen Studien zu beschäftigen, als es in der Diplomatie hergebracht ist, in den seltenen Fällen, wo solche Dinge eine