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Geschichte und Politik.
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Der Ucbertritt König Heinrichs des Vierten von Frankreich zur rö­misch-katholischen Kirche, und der Einfluß dieses Fürsten auf das Geschick der französischen Reformation'v,on dem Zeitpunkte der Bartholomäus­nacht an bis zum Erlasse des Edictcs von Nantes. Eine reformations­geschichtliche Studie von Ernst Stehelin. Basel, Schweighauscr.

Dieses mit einem eisernen Fleiß gearbeitete Werk schließt sich unmittelbar an die Geschichte des französischen Protestantismus von Soldan an, die bis zur Bartholomäusnacht fortgeführt ist. Für den Erfolg des Buchs wäre es münschenswerther gewesen, wenn der Verfasser unter den mitgetheilten Notizen eine strengere Auswahl getroffen hätte; aber in dem lobenswerthen Eifer, nichts zu übergehen, was auf das sittliche Urtheil irgend einen Einfluß aus­üben könnte, hat er eine so unübersehbare Fülle des Materials zusammengebracht, daß der gewöhnliche Leser davon erdrückt wird. Dieser Uebelstand ist um so größer, da der Verfasser weder im Erzählen noch im Gruppiren der Thatsachen sehr geschickt ist, da seine Reflexion sich zu lebhaft in den Vordergrund drängt und die Darstellung unterbricht. Erfreulich ist dagegen das Buch in einer dop­pelten Beziehung, einmal wegen des gründlichen Quellenstudiums, sodann wegen des heiligen Ernstes der sittlichen Ueberzeugung. Handelte Heinrich IV. recht, als er um der Krone willen seinen Glauben abschwur? Das vorige Jahrhundert war mit der Antwort schnell bei der Hand. Die Aufklärung, die jede bestimmte Form des Glaubens verleugnete, mußte auf das freudigste mit einem König sympathisiren, der ihre Ideen anticipirt hatte. Heinrich konnte leicht den Protestantismus aufgeben, denn er war niemals ein gläubiger Protestant gewesen; die Religionsformen waren ihm gleichgiltig, es überwog bei ihm durchaus der Staatsmann. Er endigte durch seinen Schritt' einen schon lange andauernden furchtbaren Bürgerkrieg; er sicherte den Frieden und die schwer bedrohte Einheit des Reichs; er ordnete die religiösen Parteien dem Staat unter, gab ihnen aber das Recht, sich auf dem religiösen Gebiet frei zu bewegen. Während Deutschland durch die Fortsetzung der theologischen Zänkereien endlich in jenen entsetzlichen Krieg verfiel, der es in der Cultur um wenigstens ein Jahrhundert zurückdrängte, dessen verderbliche Folgen zwei Jahrhunderte noch nicht völlig haben überwinden können, machte Heinrich und sein Nachfolger Richelieu aus Frankreich einen mächtigen, einheitlichen Staat, der eine Reihe von Revolutionen überdauert hat und heute noch ebenso kräftig dasteht wie damals, während Deutschland sich noch immer vergebens abmüht, die nationale Einheit zu finden. Ganz so einfach liegt indessen die Sache doch nicht. Betrachten wir zuerst die Sache nur vom Standpunkt deS Erfolgs, so hat die durch Heinrich festgestellte Glaubensfreiheit kein volles Jahrhundert gedauert, und die Folge davon ist einerseits das Fortbestehen der alten kirchlichen Formen in ihrer ganzes Bigoterie, andrerseits die voltairesche

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