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wandert sind, und denen daher bei zwei Dichtern, deren Bekanntschaft sie zufällig machen, eine Ähnlichkeit auffällt, die vielleicht die gemeinsame Eigenschaft von hundert Dichtern ist. Was den Esser betrifft, so sind alle Combinationen dieses Stoffs bereits so vollständig erschöpft, daß, wer etwas ganz Neues geben wollte, gradezu Unsinn geben müßte. Laube hat uns über die Genesis seines Stücks vollkommen richtig aufgeklärt. Er hat frühere Behandlungen des Stoffs zunächst vom Standpunkt eines Theaterdirectorö betrachtet, es sind ihm erhebliche Verstöße gegen das Gesetz des Dramas und des Theaters darin aufgestoßen, und da er zugleich dramatischer Dichter ist, so hat sich in seinem Gemüth die ganze Fabel auf eine neue Weise krystallisirt, und er ist an eine neue Bearbeitung gegangen. Aus dieser Methode wird zwar selten ein Drama ersten Ranges hervorgehen, aber sie ist vollkommen berechtigt. Shakespeare hat es- häufig nicht anders gemacht, und wie Goethe und Schiller, darüber dachten, kann man in den dramaturgischen Blättern des erstern nachlesen. Es kommt nur darauf an, daß der Dichter die vorgefundenen Motive nicht mosaikartig zusammenklebt, sondern sie organisch durcharbeitet, und das ist sowol im Esser als im Fechter von Navenna geschehen. Wer den Fechter von Ravenna aufmerksam anhörte, konnte an dem Dichter nicht zweifeln, wie wir denn auch augenblicklich ausgesprochen haben, kein anderer als Halm könne der Verfasser sein. Ebenso ist es mit dem Esser. Laube hat einen sehr prononcirten Stil, eine sehr deutlich zu unterscheidende Methode der Scenirung und Charakteristik, und diese wird man hier auf jeder Seite herauserkennen. Daö Drama gehört ihm ganz und gar an, so wie der Fechter von Navenna ganz Halm angehört, und wenn beide Dichter durch eine frühere Lectüre, die sie nachher ganz vergessen haben, wirklich zu einzelnen Motiven angeregt sind, so will daS um so weniger sagen, da sie auch in diesem Fall jene Stücke unendlich verbessert haben und da die Motive mit Nothwendigkeit in ihren Zusammenhang gehören. Aber es ist auch sehr möglich, daß das gar nicht geschehen ist. Der Zusall spielt darin häufig eine ganz sonderbare Rolle, oder vielmehr die Bildung, der Geschmack und die Neigung einer Zeit prägt sich in den verschiedenen Individuen, wenn nicht ganz besonoere Umstände dazwischen treten, so gleichmäßig aus, daß der nämliche Stoff auch die nämlichen Erfindungen nach sich zieht. — Bei der unerträglichen Dürre unsres jetzigen Theaters wäre sehr die Frage/ ob man nicht den Plan Goethes und Schillers wieder aufnehmen sollte, alte vergessene Stücke durch sreie zeitgemäße Bearbeitung wieder auf das Repertoir zu bringen. Mit Stücken, die zur Zeit der Tantieme geschrieben sind, geht das freilich nicht, und Dichter, die einen mit Recht oder Unrecht gefeierten Namen haben, würden sich dergleichen auch verbitten; aber die Manen todter oder vergessener Poeten hätten doch kein Recht zur Empörung. So sind z. B. >n den kotzebueschen Lustspielen eine Reihe vortrefflicher, namentlich höchst wirk-