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zunächst in Frage kommt, ist die Berechtigung des Herausgebers zum Wiederabdruck größerer Stücke aus andern Büchern. Daß poetische Uebersetzungcn demselben Recht verfallen, wie eigne Dichtuugcn, unterliegt keinem Zweifel, und so würde man gegen eine Anthologie aus Uebersetzungen so lange nichts einzuwenden habeu, als es jedem Sammler freisteht, von deutschen Gedichten aufzunehmen, was ihm beliebt. Aber es muß doch alles eine gewisse Grenze haben, und diese ist namentlich im ersten Bande, der zum großen Theil vossische Uebersetzungen enthält,, entschieden überschritten. Zudem bleibt es fraglich, ob die Kenntniß größerer epischer und dramatischer Gedichte durch solche Auszüge wesentlich gefördert wird. Eine vollständige Literaturgeschichte wird es doch nicht, denn von den eingestreuten literatur- historischen Notizen weiß man nicht recht, für welches Alter sie berechnet sind, nnd einen wirklichen Genuß hat man doch erst, wenn man die Jlias, oder den Philok- tet, oder was es sonst sei, vollständig liest. An guten Uebersetzungen fehlt es ja keineswegs, und so war auch von dieser Seite kein Bedürfniß vorhanden. Wenn der Herausgeber meint, daß diese Sammlung der Jugend nützlicher sein wird, als die verweichlichende Nomanlectüre, so ist das wol ganz richtig, aber daraus allein kann uoch nicht die Berechtigung eines solchen Unternehmens hergeleitet werden.—
Sophokles, König Oidipus. Uebcrsetzt und erklärt von Oswald Mar- bach. Zweite verbesserte Auflage. Leipzig, Arnoldische Buchhandlung. — Sophokles Philoktetes. Uebersctzt nnd erklärt von Oswald Marbach. Leipzig, Arnoldische Büchhandlung. — Der Uebersetzcr hat den Dialog in fünffüßigen Jamben, die Chöre regelmäßig in vierfüßigcn gereimten Trochäen übersetzt. Mit dem ersten sind wir einverstanden, da sich der Trimetcr in der deutschen Sprache nicht einbürgern will. Desto entschiedener müssen wir das letztere verwerfen, weil dadurch in die lebhast bewegte dramatische Sprache etwas Eintöniges und Schläfriges kommt, das dem Wesen der alten Tragödie widerspricht. Die Sprache ist geschickt gehandhabt und nicht uupoetisch, aber zuweilen gar zu sehr modernisirt. —
Sämmtliche Tragödien des Enripideö. Metrisch übertragen von Franz Fritze.' Erste Lieferung: Hekabe. Berlin, H. Schindler. — Ein st.hr ernst aufgefaßtes und gründlich durchgeführtes Unternehmen, dem wir den besten Erfolg wünschen. Der Uebersetzcr hat sich die schwierigste Aufgabe gestellt, er bemüht sich, das Versmaß anch in den Chören mit der größten.Treue wiederzugeben, aber sein sicherer Geschmack und sein Tälent führt ihn über diese Schwierigkeiten wenigstens so weit hiuweg, als es dem modernen Dichter überhaupt vergönnt sein mag. Böckh, der große Kenner des griechischen Alterthums, hat sich über diese Uebersetzuug sehr rühmend ausgesprochen und-wir können uns vom Standpunkt der deutscheu Literatur diesem Urtheil nur anschließe». Bei der Vollendung des Werks kommen wir noch einmal daraus zurück. >
Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Als verantwvrtl. Redacteur legitimirt: F. W. Grunvw. — Verlag von F. L. Herbig
in Leipzig. Druck von K. (5. Elbert in Leipzig.
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