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Mommsens Römische Geschichte.
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Gebiet der Politik, sondern auf dem Gebiet der Geschichte. Wir haben schon mehrfach aus die Reihe von Schriftstellern hingewiesen, welche die nächste Ver­gangenheit unsers Vaterlandes behandeln, zum Theil mit einer entschiedenen Kraft der Darstellung, mit glänzender Beredtsamkeit, mit tiefer Einsicht, was aber die Hauptsache ist, alle in der gleichen Gesinnung und Ueberzeugung. Sie haben sich nicht etwa untereinander verabredet, Droysen, Gervinus, Sy- bel, Häusser, Waitz, Duncke/und wie sie alle heißen, die Begebenheiten von diesem bestimmten Standpunkt aus anzusehen, sondern es waltet in ihnen der historisch entwickelte Kon 3<zns der Nation, den sie durch ihre Einsicht und Bildung weiter entwickeln, den sie aber bereits in ihrer Gesinnung vor­finden. Im Zeitalter der Romantik schien es, als habe die Nation diesen ge­sunden Menschenverstand, der Vergangenheit und Zukunft verknüpft, verloren; aber sie hat ihn wiedergefunden, und das ist uns die sicherste Bürgschaft für ihre Zukunft. Das Gefühl, daö in unsern Geschichtschreibern lebt, ist nicht schwermüthig, wie bei Tacitus, der als geist- und gefühlvoller Romantiker die Welt seines Innern gegen die Wirklichkeit herauskehrte, ihr Tadel, ihre Ironie und ihre Klage ist nicht hoffnungslos, sie wird vielmehr getragen von einem mäch­tigen, siegesgewissen Glauben, der die Zukunft in freudiger Gewißheit voraus­nimmt. Die häßlichen und widerwärtigen Erscheinungen unsers staatlichen Lebens spielen nur auf der Oberfläche; der innere Kern unsers Denkens und Empfindens ist noch nicht angegriffen, und darum werden wir, so schwer und gefährlich sie ist, die Krankheit unsers Organismus überwinden.

In die Reihe dieser Geschichtschreiber tritt der Verfasser des vorliegenden Buchs vielleicht als der bedeutendste. Ein hingebender Schüler der alten Ge­lehrtenschule , ausgerüstet mit dem ungeheuern Material und zugleich mit der strengen Methode, die wir der ernsten, mühevollen Anstrengung eines halben Jahrhunderts und dem organischen Zusammenwirken der bedeutendsten Kräfte verdanken, verbindet er mit diesem kritischen Ernst zugleich das Feuer der Jugend und jene lebendige Gestaltungskraft, die man fönst nur den Dichtern zuschrieb. Sein Verstand dringt mit eiserner Schärfe in das Gewirr der That­sachen und Vorurtheile, kein Blendwerk täuscht ihn, keine altehrwürdige Mei­nung verbirgt ihm die Thorheit und das Laster, um seine Lippen spielt zu­weilen das bittre Zucken des Hohns, wenn er eine neue Schlechtigkeit entlarvt eine Schlechtigkeit, in der ihm zugleich das Bild dessen, was er selbst er­lebt, vor Augen tritt, aber se,in Herz ist zugleich warm und rasch bewegt, und wo er eine wirkliche Größe entdeckt, da bricht er in einen freudigen Jubel aus, der um so hinreißender wirkt, weil er sich in den feinsten Formen der Bildung ausspricht. Der Haß schärft seinen Sarkasmus, aber er verleitet ihn zuweilen zu Formen, die aus den Grenzen der Schönheit heraustreten: bei der Bewunderung aber sühlt man, daß seine eigne Seele sich erweitert, und

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