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Allgemeine Kunstausstellung in Paris. 2. :
(Pariser Brief.)
Seite
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Die Barrikadenscene aus der Julirevolution, die Freiheit in der phry- gischen Mütze auf einer Barrikade von Leichnamen und Kämpfern aus dem Volke umgeben, ist trotz des modernen Costümes eine so historische Färbung, daß man betroffen beim Anblicke derselben dasteht. Die ideale Bestrebung im materiellen Kampfe weiß sich geltend zu machen.

Während beim Schlachten auf Scio die Brutalität gemeiner Leidenschaften sich geltend macht, sehen wir hier ähnliche Schreckensscenen von der entgegen­gesetzten Seite aufgefaßt. Das ist ein revolutionäres Gemälde, wie die Mar- sellaise ein revolutionäres Gedicht ist. Man suhlt wol den Wunsch in sich aufkommen, daß die Freiheit ihren Weg nicht über Leichname sucht, aber welche große Idee ist einem andern Boden als dem blutgedrängten entstiegen. Die Gerechtigkeit Trajans, der Einzug der Kreuzritter haben alle dieselben Vorzüge des dramatisch Belebten. Die Figuren werden kaum von der Leinwand ge­halten, das strebt heraus in den Raum der Wirklichkeit. Die Frauen von Algier sind grade nicht reizend und das Gemälde gefällt nur durch die Farben­virtuosität, die Delaeroir auch in seinen schlechtesten Werken nicht verläßt, wie in der Löwenjagd auch nicht. Die Iudenhochzcit hingegen und die Convul- sionärc haben dem Künstler wieder Anlaß gegeben, seine Vorzüge geltend zu machen. Sein vereinigtes Werk zeichnet sich wie das von Ingres durch eine gewisse Konsequenz der Monotonie, durch Einheit in der Mannigfaltigkeit aus. Er ist weniger Herr seiner Einbildungskraft als jener dazu ist er zu be­geistert, er geht rasch seinem Ziele entgegen und ist unbekümmert, wenn er manchmal unterwegs stolpert. Auch gewinnt kaum ein Maler der Gegenwart so sehr seine Gemälde nebeneinander zu zeigen als er.

Delaeroir hat die Ausgabe der großen Malerei gelöst wie keiner seiner französischen Zeitgenossen. Seine Gemälde sind Dramen und er wirkt vor­züglich durch die Bewegung und durch die Farbe und durch die allgemeine Harmonie. Stets tritt die Handlung als Gesammtheit vor unser Auge, sie umfaßt ein Ganzes, von welchem der Held eben nur ein Glied ist. Delaeroir ist dramatisch wie Ingres episch ist, darum gelingen diesem die Porträts am beste», jenem Ereignisse. Wir werden oft durch verfehlte Einzelnhciten, durch anatomische UnWahrscheinlichkeiten gestört, er hat seine historischen Costüme mit derselben Freiheit behandelt, wie oft die besten Maler aber alles was er malt packt uns mit der Gewalt eines Kunstwerkes. Wir behalten von» ihm keine einzelnen Physiognomien im Gedächtnisse, aber Handlungen und Charakter­gestalten, die sich, darin kund geben. Wir merken uns keine Theile, wie Arien aus einer italienischen Oper, aber vor unserer Erinnerung schwebt ein Kunstgemälde, wie von einer beethovenschen Symphonie auch nur ein 'erhabner Gesmnmt- eindruck in uns zurückbleibt. Delaeroir gefällt nicht durch Anmuth noch durch Vollendung der Details, er erobert nur durch Großcirtig-keit. Er ist genial in

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