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heimlich liebt, an der Schwindsucht stirbt. Das alles ist mehr angedeutet, als ausgeführt, obgleich einzelne Züge von dem Gemüthsleben der beiden Mädchen mit ansprechender Sinnigkeit dargestellt werden. Breiter ausgeführt, als der Held Kavanagh selbst, ist der Schulmeister Churchill, ein unfertiger Dichter, der sich sein Leben lang mit dem Gedanken trägt, einen Roman zu schreiben, aber niemals dazu kommt. Mittlerweile beschäftigt er sich mit ziemlich seltsamen Studien, z. B. mit dem Sanskrit, aus dem er lernt die arithmetischen Stunden durch Mystik und Poesie zu würzen. Uebcrhaupt ist in dem Buch eine Gelehrsamkeit angebracht, die durch ihr schweres Gewicht den dünnen Romanstoff ganz zu Boden drückt. Alle mögliche Kenntnisse der Philologie, der Geschichte und der Aesthetik müssen herhalten und der Dichter zeigt, daß er in allen wohl zu Hause ist, zu sehr zu Hause, um den anspruchslosen, naiven Sterblichen, die er doch in seinen Roman verweben muß, die gehörige Aufmerksamkeit zu schenken. Sie kommen und gehen, werden geboren und sterben, ohne daß man ein genaueres Bild von ihnen gewinnt, während die theoretischen Ercurse mit einer fast unpoetischen Gründlichkeit zu Ende geführt werden. — Anklänge an Jean Paul sind vorherrschend und namentlich in der Art der Jdeenassociation erinnert Long- fellow fast zu sehr an diesen Dichter. Aber auch Goethe mit seiner Verallgemeinerung individueller Gesichtspunkte treffen wir wieder an und die folgende Stelle ist fast ebenso Hoffmann wie Jean Paul: „Churchill hatte einen sonderbaren Traum ; er glaubte in der Schule zu sein, wo er seinen Schülern Lateinisch lehrte. Plötzlich fingen alle Genitive der ersten Declination an, ihm Gesichter zu schneiden und unbändig zu lachen und als er sie zu ergreifen versuchte, sprangen sie in den Ablativ hinunter und der Circumflcr nahm die Form eines großen Schnurrbarts an; dann verwandelte sich die kleine Dorfschule in ein großes und endloses Schulhaus der Welt, das durch alle Geschlechter der kommenden Zeit Schulbank nach Schulbank ausstreckte, und auf allen Bänken saßen alte und junge Männer, die seinen Roman, der jetzt in seinem Traume fertig war, lasen und abschrieben und lächelten und ihn einer dem andern gaben, bis endlich die Uhr in der Ecke zwölf schlug und die Gewichte mit einem fremdartigen, zornigen Rasseln niederrollten." — Die Krone seiner Werke ist das herrliche epische Gedicht Evangeline, in Herametern. Darüber, sowie über das Drama: der spanische Student und das Mysterium; die goldene Legende (eine Nachbildung des „armen Heinrich") haben wir uns bereits in frühern Aufsätzen ausführlich ausgesprochen. Nach Longfellow ist der berühmteste amerikanische Lyriker William Cullen Bryant. Er hat einen nationaleren Gehalt, als sein ausgezeichneter Nebenbuhler; doch ist auch bei ihm der Einfluß der deutschen Lyrik unverkennbar. Seine Naturschilderungen haben bisweilen emen eigenthümlichen Reiz; in seinen philosophischen Reflexionen wird er nicht selten unklar und überschwenglich. — Von Nathaniel Hawthorn ist das Grcnzboten. IV. 48öö. 37