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Neue deutsche Memoiren. 1.
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auf sehr schätzenswerthe Weise vervielfältigt; dagegen sind Berichte von Augen­zeugen der militärischen Begebenheiten in der Unglückszeit von 1806 bei weitem seltener: Rühle von Lilienstern, Henkel von Donnersmark, Nostiz, Müffiing sind unsers Wissens die einzigen, welche mit einiger Ausführlichkeit Selbst­erlebtes aus jener Zeit mittheilen und diese, die im Stäbe beschäftigt waren, verweilen vorzugsweise bei dem trostlosen Bilde der Ratlosigkeit der Führung, der geistigen oder physischen Unfähigkeit der höhern Befehlshaber und man wird geneigt, dieselben moralischen Eigenschaften auch bei den Truppen zu suchend Und doch befinden wir uns dabei auf falschem Wege. Sie waren schwach durch mangelhafte Ausrüstung und zum Theil durch taktische Unbe- hilflichkeit, Offiziere und Mannschaften aber besaßen sonst tüchtige militärische Eigenschaften, wie sie dieö ja auch früher in den Feldzügen von 179F u. 9L gezeigt haben und wie dies nicht anders sein konnte, denn aus demselben Offiziercorps gingen die Blücher, Scharnhorst, Gneisenau, York, Kleist, Schill und alle jene Helden vom höchsten bis zum niedrigsten hervor, welche die preußi­sche Armee später zur thätigsten und gefährlichsten Gegnerin des Weltbesiegers machten. Die Elemente eines tüchtigen Heeres waren schon damals vorhanden, sie waren' aber niedergehalten und außer Thätigkeit gesetzt durch den Wust pedantischer Formen und durch die moralische und physische Kraftlosigkeit der obern Stellen. Einen aus diesen bessern Bestandtheilen des Heeres lernen wir in Ledebur aus seinen hinterlassenen Briefen kennen. Obgleich stark erschüttert von dem schrecklichen Falle seines Vaterlandes war doch sein Charakter viel zu kräftig, als daß er sich dumpfer Verzweiflung hätte hingeben sollen. Im Gegentheil vergißt er in der unglücklichsten Lage, in der Gefangenschaft, keinen Augenblick, daß der Platz des Soldaten bei seiner Fahne ist und daher sinnt er unablässig auf Mittel, wie er wieder zu dem Heere des Königs gelangen kann und führt seinen Entschluß auch mit Kühnheit und Geschick, allen Fähr- lichkeiten und Beschwerden mit ungebeugtem Muth und wahrhaft spartani­scher Genügsamkeit trotzend, glücklich aus. Diese Geschichte seiner Selbstranzioni- rung' bildet den Haupttheil und auch den interessantesten des vorliegenden Buches. Freiherr von Ledebur, einem westphälischen Geschlecht entsprossen, machte 1793 seinen ersten Feldzug und zeichnete sich als Cornet bereits im Treffen bei Pirmasens, wo sein Regiment (Borstell) -13 Geschütze nahm, von denen Ledebur selbst 2 eroberte, rühmlichst aus. Den Feind zu kühn ver­folgend, wurde er lebensgefährlich verwundet und es entging ihm dadurch der Orden pour Is merile, da man ihn schon zu den Todten zählte. Dennoch genaß er wieder vollkommen und eilte beim Beginn des folgenden Feldzugs wieder zu seinem Regimente. Aller obgleich ein begeisterter Cavalerist, war er doch nicht bloßer Haudegen, wie er denn nach dem Frieden um Urlaub bat, um ein Jahr in Göttingen zu studiren, ein Vorhaben, das sein Chef, charak-