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Flüchtige Gedanken über Real- und Gelehrtenschulen.
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Flüchtige Gedanken über Real- und Gelehrtenschnlen.

Die erste Wahrnehmung, wenn man das Treiben eines Real- und Ge­lehrtenschülers der Oberclassen vergleicht, ist, daß der erstere mehr zu thun hat. Derselbe hat nicht nur gewöhnlich mehr Stunden und Unterrichtsgegenstände, sondern es sind dieselben mehr voneinander gesondert, so daß er jedem beson­dere Kraft zuwenden mnß. Er hat in der Mathematik, Physik, Chemie, ja oft in mehrern Zweigen dieser Wissenschaften zugleich saubere Hefte auszu­arbeiten, soll daneben womöglich eins in der Religionsgeschichte, in deutscher, englischer und französischer Literaturgeschichte, in der Geschichte und Geographie führen, so daß er noch außer den schülermäßigen Uebungen, als Aussatz, Vortrag, Auswendiglernen, der ganzen präparatorischen und repetitorischen Thätigkeit, wesentlich das zu thun hat, was der Student, in neun bis zehn Dingen zugleich den Vortrag des Lehrers zu reproduciren. Während das also seine Thätigkeit ungemein anspannt, hat sein gelehrter Nachbär offenbar leichter, indem das Heftesühren sich höchstens auf die Hälfte der genannten Gegenstände, etwa auf Geschichte, deutsche Literaturgeschichte, Mathematik, Physik und Religions­geschichte erstreckt, die Nebungen dagegen zwar zahlreicher, aber doch ungefähr von ähnlichem Umfange, besonders aber von größerer Schwierigkeit sind. So fordert die Schule von dem Realschüler Mehr nnd Mehrerlei, während sie Weniges aber Schwereres von dem Gclehrtenschüler beansprucht. Auch die Art, wie man sich den Stoff zu eigen macht, wird demgemäß verschieden sein. Hier wird treues stetiges Lernen, Gewöhnung an Pflichterfüllung und Ueber­windung vieler Arbeit, aber auch Unselbständigkeit und mechanisches Einpauken, dort mehr Unregelmäßigkeit, aber größere Selbstthätigkcit und Freudigkeit im Ueberwinden schwerer Arbeiten, und neben der Gewöhnung des Arbeitens auS sreier Wahl, arrogantes Urtheilen und Meinen sich kund thun: dort wird auch der Geniale zu einem gewissen allgemeinen Niveau der Denk- und Anschauungs­form herabgenöthigt nnd der Schwache dazu erhoben werden, hier wird dem guten Kopf freierer Spielraum zur Entfaltung seiner Kräfte gelassen, dem schlechten dagegen weniger Gelegenheit geboten werden, sich einen geistigen Mechanismus zu erbauen, der ihm anstatt eines organischen Geisteslebens dienen kann. Bleibt er sehr zurück, so wird er weniger leicht zu einer brauch­baren Mittelmäßigkeit gelangen, als der talentlose Realschüler. Der Zweck, der Geist und Sinn, mit dem gearbeitet wird, sind ebenso verschieden. Dem Gelehrteuschüler schwebt in der Regel ein confuses Ideal von Männerwürde nnd Geistesfreiheit vor; Besonnenheit, Klarheit und Ruhe werden ihm oft im besten Falle fehlen, hohle Fantasterei, Dichtereitelkeit, Renommage aller Art liegen ihm sehr nahe. Wohl ihm, wenn diese Strebsamkeit sich nur auf geistige