Rechtliche Grundlagen. Verwaltungs- und Gerichtsorganisation.
Von I. Gerstmeyer.
Geh. Oberregierungsrat und vortragender Rat im Reichs-Kolonialamt.
Als 1870 auf den Schlachtfeldern Frankreichs das heutige Deutsche Reich entstand, gab es noch keine einzige überseeische deutsche Besitzung. Dementsprechend enthielt auch die deutsche Reichsverfassung keine Bestimmungen, welche der Ordnung der Rechtsverhältnisse in den später erworbenen Kolonialgebieten hätten als Grundlage dienen können. Freilich hatte der Gedanke, daß Deutschland Kolonien erwerben müsse, unter dem Eindruck einer starken Auswanderung, die in der Zeit nach den Freiheitskriegen einsetzte und durch die Millionen von Landsleuten an fremde Länder verloren gingen, in einsichtigen Kreisen immer mehr an Boden gewonnen. Schon 1867 bei der Beratung der Verfassung des Norddeutschen Bundes, des Vorläufers des Reichs, hatte man daher die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß sich das deutsche Volk einst würde mit Kolonisationsfragen besassen müssen und im Hinblick darauf eine, später auch in die Reichsverfassung (Art. 4, Nr. 1) übergegangene Vorschrift eingefügt, wonach der Beaufsichtigung und Gesetzgebung des Reichs auch die „Bestimmungen über die Kolonisation" unterliegen sollten. Derartige Bestimmungen waren aber noch nicht erlassen, als im Jahre 1884 und 1885 die Reichsregierung, den Wünschen weitschauender, insbesondere kaufmännischer Kreise entsprechend, sich entschloß, eine Reihe von Gebieten in Afrika und der Südsee unter ihren Schutz zu stellen. Auch damals schien ein Bedürfnis für ein Kolonialgesetz zunächst nicht vorzuliegen. Um die Hoheit des Reiches über die Kolonialgebiete zu begründen, erschien es ausreichend, daß sie der Kaiser, dem nach der Verfassung die Befugnis zur völkerrechtlichen Vertretung des Reichs zusteht, unter seinen Schutz stellte. Ihre Verwaltung aber sollte nach den Absichten des leitenden Staatsmannes, des Fürsten Bismarck, nicht vom Reiche übernommen werden, sondern Sache der Interessenten bleiben. Nicht „Kolonien nach französischem Muster", in die eine Anzahl von oberen unt> unteren Beamten geschickt würden, nicht „überseeische Provinzen" wollte er begründen, sondern die Verantwortlichkeit für die materielle Entwicklung der Kolonien und deshalb auch das „Regieren" den „seefahrenden und handeltreibenden Mitbürgern" überlassen, die er zu großen, nach dein Vorbild der Britisch-Ostindischen Kompagnie mit hoheitsrechtlichen Privilegien ausgestatteten Gesellschaften vereinigen wollte. Das Reich sollte diesen nur die Möglichkeit europäischer Jurisdiktion und eine Art konsularischen Schutzes durch Vertreter des Reichs gewähren. Auch zu den hiernach erforderlichen Verwaltungsakten hielt die Regierung den Kaiser ohne weiteres für berechtigt. Immerhin erschien es aber doch notwendig, dafür
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