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Handbuch des Deutschtums im Auslande : nebst einem Adressbuch der deutschen Auslandsschulen / hrsg. vom Allgemeinen Deutschen Schulverein zur Erhaltung des Deutschtums im Auslande
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Geschichte und Sprachenverhältnisse.

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ins 16. Jahrhundert wurde hier deutsch gepredigt. In den genannten Jahr­hunderten erscheinen unter den Bürgermeistern, Raten und Bürgern der Stadt zahlreiche deutsche Namen, wie auch für Straßen und Plätze Krakaus viele deutsche Bezeichnungen im Gebrauch sind. Deutsche Sprache und deutsche Ein­richtungen waren stark verbreitet. Ebenso spielte in Lemberg einst das Deutschtum eine bedeutende Rolle; nachdem dashölzerne" Lemberg 1381 durch eine Feuers­brunst zerstört worden war, bauten es hauptsächlich deutsche Bauleute wieder aus. Aber auch in vielen kleineren Orten, bis in den äußersten Osten des Landes gab es Deutsche. Noch verbreiteter war deutsches (Magdeburger) Recht, denn es wurde auch an Orte verliehen, in denen keine Deutschen wohnten.')

Seit dem 16. Jahrhundert ging das Deutschtum zurück, doch ist es nie ganz verschwunden. Im 18. Jahrhundert entstanden neue deutsche Siedelungen, indem Josef II. 12 000 Rheinländer ins Land ries, weil das Gebiet unter polnischer Herrschaft halb verödet war. Bekannt ist, daß sich die deutscheu Kolonisten­dörfer durch Reinlichkeit und Sauberkeit vorteilhaft vor den polnischen und ruthenischen Ansiedlungen auszeichnen.

So lange Galizien von Wien aus im Sinne Kaiser Josess regiert wurde, erging es den Kolonisten gut. Seither änderten sich aber die Verhältnisse zu Ungunsten der Deutschen. Die amtliche Volkszählung von 1890 ergab noch 227 158 Deutschsprechende, die von 1900 nur noch 211 752. Zieht man davon die Juden ab, so bleiben nur noch rund 60 000 Deutsche, von denen etwa 44 000 evangelisch und 12 000 katholisch sind. Besonders erscheinen heute die deutschen Katholiken, die in größeren und mittleren Städten in beträchtlicher Anzahl wohnen, durch den Mangel deutschen Gottesdienstes und deutschen Unter­richtes der Polonisierung preisgegeben. Die protestantischen Landgemeinden unter­halten mit Unterstützung der nationalen Verbände im Reiche deutsche Privat­schulen: Es giebt 96 deutsch evangelische Schulen mit 6074 Kindern und 1-^8 Lehrkräften. Ein durch den Superintendenten sür Galizien und die Bukowina, Hermann Fritsche, Pfarrer in Biala^) aufgestelltes genaues Verzeichnis der­selben mit Angabe der deutfch-evangelifchen Einwohnerzahl der Schulorte, der Zahl der Schulkinder, dem Hundertsatz der Schulkinder deutschrutheuischer Ab­stammung und der Zahl der Lehrkräfte veröffentlicht Gustav Lenz in der Dtsch. Erde, 1903, II, 115.

Doch fristen sämtliche deutsche Gemeinden nur ein kümmerliches Dasein, sie bilden, wie aus der Uebersicht zu entnehmen ist, nur eine geringe Minderheit, die in dürftigen Verhältnissen lebt. Somit spielt das Deutschtum im öffent­lichen Leben Galiziens keine Rolle, ausgenommen in der Bialaer Sprachinsel, die aber den rücksichtslosesten Angriffen der Polen ausgesetzt ist. Eine nationale Organisation besitzen die Deutschen nicht. Die Deutsch-Evangelischeu haben in ihrer kirchlichen Organisation, im Gustav-Adolf-Verein und im evangelischen Lehrerverein einen losen Zusammenhangs) die Deutsch-Katholischen sind ganz ohne Fühlung untereinander und mit den Evangelischen, ihre Geistlichen sind durchweg Polen oder polonisierte Deutsche. Die einzige deutsche Zeitschrift, der Evangel. Volksbote sür Galizien" ist nach kurzem Bestand eingegangen. Unter diesen Umständen ist die beträchtliche Abwanderung nach Posen und Westpreußeu, die in letzter Zeit eingesetzt hat und immer mehr zunimmt, vom nationalen Standpunkt zu billigen: in Deutschland können die Rückwanderer unser Volkstum

Vgl. R. F. Kaindl,Deutsches Wesen im alten Krakau", Beilage zur Münchener Allg. Ztg.", 1905, Nr. 33. Derselbe,Aus Lembergs deutscher Zelt", Wissenschaft!. Beilage derLeipziger Ztg.", 1905. Nr. 132.

Vgl. dessen Schriften,Die deutsch-evangelischen Gemeinden :n Galizien" und Kirche und Schule in Galizien". Festschriften für Gustav-Adolf-Vereine, Heft 29 u. 30,

^eipz:g^je^10^Pf^Deutsch-evangelisches Volkstum in Galizien", in Christl. Welt, Marburg 1901, Nr. 10, S- 364369.