Teil eines Werkes 
Theil 1 (1830) Versuch einer Aesthetik der Tonkunst im Zusammenhange mit den übrigen schönen Künsten nach geschichtlicher Entwickelung / von Dr. Wilhelm Christian Müller Lehrer an der Hauptschule in Bremen
Entstehung
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Zweites Kapitel.

Vom Gemüthe, als dem Organe der Poesie und der Aesthetik.

S. 9.

Die Sinnennatur enthält die Organe zur Auf­nahme der Eindrücke aller uns umgebenden Dinge; unser Geist ist oder besitzt das Organ unserer Ideen; das Gemüth wird das Organ für die poetische Welt, über welche die Sinne, die Imagination und Phantasie, als Obergewalten regieren, wobei Verstand und Vernunft nur das Ministerium aus­machen. Die Affektion desselben heisst Poesie in der weitesten Bedeutung.

Die Poesie ist kein Gegenstand im Aussen; sie ist ein eigenthümIiches Sein des Menschen, welches sich in ihm bald von grösserer, bald von geringerer Herrschaft und Dauer, bald bewussllos kommend oder fliehend vorfindet.

Nach Vertheilung der Anlagen, deren Bil- dungsfähigkeit in den Grundzügen einzelner Men­schen erscheint, drückt sich bald ein vorherrschen­der Antheil von Geist aus, bald von Sinnlichkeit, bald von Gemüth. Bald gebietet der Geist als das männliche Princip, bald die Sinnlichkeit als das weibliche, bald das Gemüth als das durch Vereinigung jener beiden Naturen Erzeugte, dem bald der Vater aus Wohlgefallen, bald die Mutler aus Schwachheit, bald beide aus Liebe den Vorrang überlassen; bald beherrschen zwei dieser Qualitäten die dritte; bald, wiewohl seltener, als im harmo­nischen Familienleben, tritt unter allen dreien ein gleichmässiges Verhältniss ein dies sind die lieb-