Aus dem Innenleben eines republikanischen Wehrverbandes.
Der Ortsverein Vegesack und Umgegend des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold 1924-1934
Von Ulrich Schröder
1. Einleitung
Man könnte annehmen, dass die sich wiederholenden Aufmärsche von NPD und »Freien Kameradschaften«, denen sich erfreulicherweise meist breite Abwehrbündnisse entgegenstellen, das Interesse am antifaschistischen Kampf gegen Ende der Weimarer Republik, an den beteiligten Organisationen und an seinen Aktionsformen neu entfacht hätten. Die geschichtswissenschaftliche Beachtung dieses Themenkomplexes hält sich jedoch in engen Grenzen. Benjamin Ziemann bedauert dies in seiner 2011 erschienenen Broschüre zum Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold ausdrücklich. 1 Es handelt sich dabei um den einzigen Versuch neueren Datums einer - wenn auch skizzenhaften - Gesamtwürdigung des mit Abstand größten antifaschistischen Kampfbundes der ersten deutschen Republik. Karl Rohes Standardwerk zur Geschichte des Reichsbanners (Rb) erschien bereits 1966. 2 Darin hat er Politik, Struktur und Ideologie gründlich untersucht, sich jedoch im Wesentlichen auf die Führungsebene und deren Publizistik beschränkt. Bei einer Organisation, die aber - nach eigenen Angaben - bis zu dreieinhalb Millionen Mitglieder im Deutschen Reich organisiert haben soll, möchte man freilich wissen, wie das »Innenleben« aussah, mit welchen Problemen sich die Mitglieder und Funktionäre vor Ort auseinandersetzten, wer sie waren, wie sie dachten und handelten. 3 In Lokal- und Regionalstudien, die seit 1966 erschienen sind, findet sich mit Ausnahme der Untersuchungen von Hans Harter, Günther Gerstenberg, David
1 Benjamin Ziemann, Die Zukunft der Republik? Das Reichsbanner Schwarz-Rot- Gold 1924-1933, Hrsg. Friedrich-Ebert-Stiftung, Archiv der Demokratie, (Gesprächskreis Geschichte, Heft 91), Bonn 2011, S. 69.
2 Karl Rohe, Das Reichsbanner Schwarz Rot Gold, Ein Beitrag zur Geschichte und Struktur der politischen Kampfverbände zur Zeit der Weimarer Republik, Düsseldorf 1966. Eine 21 Jahre später in der DDR erschienene Monografie bietet außer der Sichtweise der SED-Historiografie nichts wesentlich Neues: Helga Gotschlich, Zwischen Kampf und Kapitulation, Zur Geschichte des Reichsbanners Schwarz- Rot-Gold, Berlin (Ost) 1987. Ein 2004 herausgegebener Ausstellungskatalog enthält aussagekräftige Dokumente und Fotos, inhaltlich aber ebenfalls bereits Bekanntes: Für eine starke Republik! Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold 1924-1933, Texte: Beatrix Herlemann und Johannes Tuchei, Berlin 2004.
3 Diesen Aspekt streift auch Ziemann, Zukunft, (wie Anm. 1), S. 25 ff.
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