Jüdische Grenzgänger - Die Migration von Juden in das Bremer Umland und die Aufenthaltsbedingungen für Juden in Bremen 1770-1810
Von Werner Meiners
Einleitung
200 Jahre ist es her, dass in Bremen die sogenannte »Franzosenzeit« endete, der kurze Zeitabschnitt, in dem sich nach einer spätmittelalterlichen Ansiedlung und kurzen Episoden im 16. Jahrhundert erstmals wieder Juden in der Stadt niederlassen konnten, und dies zudem als rechtlich mit den christlichen Einwohnern gleichgestellte französische Staatsbürger. Auch diese erste Emanzipation blieb ein historisches Intermezzo, abgelöst von einer von 1814 bis 1848 währenden Phase, in der es bremische Politik war, möglichst alle unter französischer Herrschaft »eingeschlichenen« Juden wieder zu vertreiben.
Dieser historische Abschnitt war bereits mehrfach Thema von Publikationen, zuletzt 2008 durch Andreas Lennert unter Korrektur älterer Darstellungen. 1 In diesem Beitrag soll es dagegen um die Vorgeschichte von Ansiedlung und Vertreibung gehen. Auch dazu liegen bereits Vorarbeiten vor, ihre Ergebnisse bedürfen allerdings besonders der Präzisierung und historischen Einordnung. Ein genauer Blick auf die Lebensbedingungen von Juden und auf die bremische Judenpolitik in diesem Zeitraum bietet eine sichere Grundlage für die Beurteilung der nachfolgenden Entwicklungen. Im Zentrum der Untersuchung steht die Zeit vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1810, in der Bremen zwar offiziell als »judenfrei« galt, sich aber dennoch schon Juden über kürzere oder längere Zeit in der Stadt aufhalten konnten. Es war zugleich eine Phase, in der die Niederlassung von Juden im ländlichen Umland Bremens bereits deutlich zunahm und sich schließlich in Hastedt eine jüdische Gemeindebildung anbahnte.
Beide Themen, der Aufenthalt von Juden in der Stadt sowie die Ansiedlung von Juden vor den Toren Bremens, sollen im Folgenden miteinander verknüpft und in einen größeren historisch-geographischen Kontext gestellt werden. Leiden doch die bisherigen bremischen Beiträge zur Geschichte der hiesigen Juden und der Judenpolitik fast durchweg unter Blickverengungen, sowohl was die Wahrnehmung von außerbremischen historischen Entwicklungen betrifft, als auch die Rezeption von außerhalb Bremens publizierten Forschungsergebnissen. Einerseits geht es um eine Ausweitung der Perspektive
1 Andreas Lennert, Johann Smidt und die Vertreibung der Juden aus Bremen, in:
Bremisches Jahrbuch (Brem. Jb.) 87, 2008, S. 160-200.
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