H. d. 10. Sept. 9.
Liebe Doris,
Mir deucht ich schrieb dir schon lange nicht: und gern nehm ich des freien Augenblicks
zum Schreiben wahr, damit auch du wieder einige Zeilen von meiner Hand erh[a]l-
test. Ich habe nemlich seit Kurzen angefangen von meinen Briefscholden
abzutragen was ich kan̅. Im̅er wird mir das noch schwer, den̅ ich habe noch
keinen Hauslehrer wieder angenom̅en, und gebe viele Stunden selber. Da brauche
ich dan̅ Erholung und Frieden, und die suche u. finde ich im Garten unter meinen
Blumen. Das heißt wohl recht aus einem Garten in den andren gegangen
und von Blumen zu Blumen. Ich bin darüber an meinem Schreibpult
fast zum Fremdling worden. Doch so darf es nicht bleiben. Den̅ wenn man
den fernen Freunden auch nicht fremd wird / das sollt ja wohl unmöglich sein /
so erschwert doch ein zu seltenes Schreiben allen Geistes und Herzensumgang u.
alles Miteinanderfortleben. Selbst Fähigkeit, Trieb und Wunsch der Mitteilung
versiegen so bald wir von der festen Gewohnheit lassen. --- Diese Erfahrung
kan̅ jeder an sich machen, der es versuchen will. Anfangs bleiben Vorsatz und Wille
noch wach, und das Gewissen spornt u. stachelt unaufhörlich / den̅ auch die Freundschaft
steht unter dieser Gerichtsbarkeit / wenn es aber lange vergebens angemahnt
u. geschrieben hat, so wird es des lästigen Amts müde und verstum̅t. - Dann
kom̅t die sophistische Trägheit und gaukelt uns vor: o man kan̅ sich ja doch theuer
und werth bleiben, ohne es sich nur zu wiederholen. Man muß von von seinen
Freunden fo[r]dern können, daß sie an uns glauben; auch wo sie nicht sehen? e. s. v. u. s. v.