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Umfange von tausend Schritt nnd weiter! Ein Stern nach dem andern geht ans zwischen leichten, blaßgrancn, im Acther schwimmenden Gewölk, blau stehen die hohen Profile der Berge Kleinasiens und mitten unter ihnen der Olymp im Hintergrund,
— Ineinanderfließen der Farben und Schatten — in Skutari, drüben über dem Bosporus, blitzen schon in tausend Häusern die Lichter hinter den Fensterscheiben
— das Meer hat sein tiefes Blau verloren, welches mit dem Azur des sonncn- strahlendcn Äethcrs gewcttcifert hatte, nnd ist grau geworden — ein Schleier nach dem andern fällt aus der Höhe hernieder ans die Erde — es dunkelt mit Macht, schon zieht die Milchstraße ihren flimmernden, glitzernden Bogen über den Himmelsraum hin — die Nacht, obwol es eben erst halb sechs Uhr ist, hat begonnen.
Ungeachtet wir schon in die zweite Hälfte des Decembers eingetreten sind, ist die Luft lau-mild. In einigen Wohnungen wird geheizt, aber die meisten begnügen sich mit dem Kohlenbecken (Mangal) und auch dieses ist kaum erwünscht. Mein Fenster steht geöffnet und indem ich schreibe schweifen dann nnd wann meine Blicke in die Weite. Von Pera her tönt Hnndegebcll und der dumpfe Schall, den eine belebte Stadt in die Ferne sendet;-dagegen schweigt alles dicht vor mir im Türken- Viertel von Fiudikli, Dvlma Bagdschc und Beschik' Tasch. Die orientalische und abendländische Stadt sind in ihrer strengen Unterscheidung hier dicht nebeneinandergestellt.
Irre ich nicht, so führte ich Sie schon ein Mal durch die abendlichen Straßen des Frankenqnartiers. Eine Gasscnerlcnchtung gibt es in Pera noch nicht, aber in der grandc Rue ersetzen die zahlreichen im Kerzen- und Lampenschcin strahlenden Magazine und Läden, von denen einige an die Eleganz derer unsrer europäischen Großstädte hinanreichen, sie einigermaßen. Am sogenannten Taxim ist die Finsterniß noch ungebrochen, aber da, wo weiter unterwärts die Straße sich verengt, wird es lichter und die einander Begegnenden lausen auch an den Abenden, wo der Mond nicht scheint, nicht mehr Gefahr, zusammenzustoßen. Die Läden zur Linkcu, an denen wir vorüberkommcn, sind Apotheken; es gibt deren in der großen Straße wol -ein volles Dutzend, und in diesen Tagen, wo viele Lazarethe ihre Bedürfnisse aus ihnen entnehmen, sind sie nie leer und machen gute Geschäfte. Noch einige hundert Schritt weiter und wir sind im Herzen von Bey Oglu, wie der Türke die Frankenstadt nennt, gegenüber den Resten des vor sechs Jahren niedergebrannten Galata Scrai. Die Hauptwache hat zur Zeit dort ihreu Sitz; wie Bildsäulen stehen die zwei türkischen Schildwachcn in ihren weißgrancn Mänteln auf ihrem Posten. Gegenüber dem Scrai befindet sich das Schauspielhaus oder besser zu sagen die italienische Oper, denn in dieser Polyglotten Stadt kann das Drama nicht aufkommen und vermag nur die Sprache der Musik ein allgemeineres Verständniß zu finden.
Hinter dem Galata Serai und der Hauptwache macht die graudc Rue eine kleine Biegung. Wir gehen sanft bergabwärts und gelangen in den ältern Zweig der Straße, wo die größeren Magazine, die massenhafteren Gebäude und vor allem die Gesandtschaftspalais gelegen sind. Abermals wird der Pfad enger, aber die Helligkeit nimmt zu. Wir kommen an einem erleuchteten Laden vorüber, vor dessen Schaufenstern Spielwaaren ausgestellt sind: es ist die Konditorei von Valaury, der Sammelplatz des romanischen Elements unter der jungen Welt von Pera, während
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