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Kunst und Literatur.
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Mutter jenes Knaben auszugeben. Madame Beltrami, die von ihrem hartherzigen Vater mehrfach verstoßen ist, präsentirt der Gesellschaft den Thee, auch ihrem Vater, dem sie bei dieser Gelegenheit die Existenz des Knaben bcmerklich macht. Er erwidert verdrießlich, von ihr selbst wolle er zwar nichts wissen, aber für jenen Knaben wolle er ein kleines Jahrgehalt aussetzen. So wird SolbringS Bastard dem alten Geizbals aufgebürdet. Wäbrend der Zeit erbeitert eine Hvfräthin aus der Armeucommission das Publicum dadurch, daß sie alle mögliche Wörter falsch ausspricht, z. B. Programm statt Prolog u. s. w.

Man erlasse uns allen Ausdruck unsrer Empfindung. Welche Misere!

Indeß wo bleibt die Moral, die höhere Tendenz, die sittliche Idee? Es ist eine darin; das verräth schon der zweite Titel: die Komödie der Besserungen. Gleich beim ersten Act merkt man, daß man es mit einer Satire gegen die moderne Phil­anthropie zn thun hat. Der alte Linz leidet an der Manie der Wohlthätigkeit, nnd seine Familie unterstützt ihn aufs lebhafteste darin. Wo er von einem verwahrlosten Mensche» hört, eilt er hin, unterstützt ihn mit Geld und Credit, nimmt ihn ins Haus n. f.'w. Im Hanse geht alles drunter und drüber; sciu Schwiegersohn ver­schwendet seine Gelder, seine Bedienten bcstehlen ihn aus eine so unverschämte Weise, daß sie während dcS Frühstücks die silbernen Löffel in die Tasche stecken und nickt im geringsten in Verlegenheit gerathen, wenn sie dabei ertappt werden; sie werfen seine Geschäftsbriefe, anstatt sie ans die Post zu tragen, in einen Graben !c. Obgleich diese Wirthschaft bereits drei Jahre dauert, scheint der Wohlstand des Hauses dadurch keinen Stoß erlitten zn haben. Daß zum Schluß der alte Lenz ver­nünftiger wird' nnd vor seiner eignen Thür zu kehren beschließt, ehe er sich um fremden Sclnnnz bekümmert, hclben wir schon erwähnt. Ein gutmüthiger Recensent ist der Meinung gewesen, Gntzkvw habe den Wohlthätigkeitssinn überhaupt satirisch behandeln wollen, und hat ihn darüber ernsthaft zur Rede gestellt, da Wohlthätig­keit doch etwas Gutes sei. Es gehört eine seltene Unschuld dazu, von Gutzkow überhaupt einen cvnseqncnt durchgeführten Gedanken zu erwarten; er hat im fünften Act die Anlage des ersten längst vergessen. Was ihm vorschwebt, ist uns wol ziem­lich klar; die Wohlthätigkeit an sich konnte er nicht verspotten wollen, dazu ist er selbst zn gutmüthig, er dachte an die innere Mission und deren Seitenverwandtschast. Welch schöuer Stoff sür einen zweiten Moliere! Aber freilich, jedes Ding hat zwei Seiten, und die modernen Tartüffes lassen ebensowenig mit sich spaßen als die alten. So begreift sicbs denn auch, daß die Eiuzclnheitcn des Stücks der Tendenz fort­während widersprechen, da der närrische Wohlthätigkcitstricb der Familie Lenz in der That in vielen Fällen ganz ans der richtigen Fährte geht. Wir wollen daher diesen Pnnkt ganz auf sich beruhen lassen und statt dessen noch einen der großen Knotenpunkte der Handlung hervorheben.

Sigismnud. der Sohn des alten Lenz, kehrt von einer dreijährigen. Reise ans Amerika zurück, er sieht den bevorstehenden Ruin seines Hauses und beschließt, demselben zu steuern. Er spricht im ersten Act mehre verwunderliche Ansichten aus. auf die wir indeß kein großes Gewicht legen, da Gutzkow dergleichen Kraft- svrüche, wenn er für sie keine passende Stelle, findet, an einer unpassenden an­bringt. Am Schluß des Acts stürzt er mit wilder Leidenschaft in eine Spiclcr- gcsellschast, um das Geld seines Vaters zu verspielen. Ein bekehrter Taugenichts.