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Zur Shakespeareliteratur.
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bestehenden sittlichen Verhältnisse, mag dieser Vater sein wie er will, nnd von diesem Standpunkt aus werden wir das leichtsinnige Verhalten Jessicas zn den weiteren Schicksalen ihres Vaters beinahe mit dem Ausdruck Nohheit bezeichnen können. Freilich ist der alte Jude selbst daran schuld, daß seine Tochter keine Pietät gegen ihn hat; aber das hebt den Conflict nicht auf. Allein Shakespeare hat in diesem Fall und das hat Ulrici übersehe» auf den Ernst des sitt­lichen Verhältnisses gar nicht angespielt; er behandelt die ganze Sache komisch, und in der eigentlichen Komödie müssen wir die Sittlichkeit nicht aus die Gold­wage legen. Hier liegt wieder viel Schuld an unsern Schauspielern. Wir haben mehre Shyloks gesehen, die, wenn sie auf ihre Familienverhältnisse zu sprechen kamen, plötzlich in ein tiefes Gefühl ausbrachen. Ein einziger solcher Zug reicht hin, um uns in unserer Unbefangenheit zu stören. Sobald wir in Shylock einen sittlichen Zug vernehmen, empfinden wir Mitleid und beschäftigen nnö mit der Frage nach Recht und Unrecht. Erscheint er uns dagegen blos als ein bösartiger Hanswurst, so freuen wir uns darüber, daß ihm ein Posse» gespielt wird, uud die Frage, ob Jessica Recht oder Unrecht hat, kommt » gar nicht in den Sinn.

Politische Broschüren.

Actcnstücke der russischen Diplomatie, herausgegeben nnd eingeleitet von Friedrich Paalzow. -I. Lieferung. Berlin, Franz Dunckcr.

Wir sprachen im vorigen Heft den Wunsch aus, daß die vielfachen, höchst wichtigen Actenstücke, welche in Beziehung auf die russische Politik im Lauf des vergangenen Jahres der Oeffeutlichkeit preisgegeben sind, in einer möglichst voll­ständige» Sammlung vereinigt werden möchten. . Mittlerweile ist die vorliegende erste Lieferung erschienen, welche sich denselben Zweck setzt. Sie enthält das ge­heime Rundschreiben an die diplomatischen Vertreter des russischen Cabinets in Deutschland vom Jahre 1834, die russische Denkschrift in Beziehung auf die Febrnarrevolutiou, die Denkschrift vom 10. Februar 18S0, und das politische Te­stament Peter des Großen, vier Actenstücke, die uns eiue klare Einsicht in die zusammenhängende und conseqnente Politik Rußlands und ihren verderblichen Einfluß ans Deutschland eröffnen. Wir behalten uns vor, auf den Inhalt derselben bei Ge­legenheit der nächsten Lieferung näher einzugchen, hier wollen wir nur eine Be­merkung über die Partei in der Presse, von der die Veröffentlichung ausgeht, daran knüpfen.

Herr Paalzow gehört, wenn wir nicht irren, zu den eifrigsten Mitarbeitern der Nationalzeirnng, die wol überhaupt iu der Mittheilung der russischen Acten­stücke am vollständigsten gewesen ist. Wir haben mehrmals Gelegenheit gehabt,

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