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Fleisch und Blut, als sein Mündel, er ist von vornherein viel zu resignirt, hingebend und aufopfernd, um menschliche Theilnahme in uns zu errege». Dickens begeht in solchen Fällen hänsig den Fehler, in der Hervorhebung der idealen Seiten eiues Charakters sich um seine endlichen Beschäftigungen, nm die Prosa seiner Wirklichkeit nicht zn bekümmern. Allein jeder Dichter sollte es sich zur Aufgabe mache», wenigstens in Gedanken sich seine Helden auch in ihrer Alltäglichkeit vorzustellen, sich zu fragen, womit sie sich in der Regel den Tag über beschäftigen, weil nur dadurch die Charaktere Realität gewinnen.
Alles, was wir bis jetzt betrachtet habe», ist immer noch die beste Seite des Romans und der kleinere Theil desselben. Die eigentliche Masse wird durch eine Reihe schauderhafter uud widerwärtiger Personen und Zustände gebildet, die entweder gar keine Beziehung zum Roman haben oder die wenigstens durch ihren Einfluß auf die Handlung nicht zu einer so empörenden Ausführlichkeit berechtigen. Es scheint, als ob alle Irrenhäuser, alle Lazarethe, alle Cloakeu ihre wüsten Bewohner ausgespien haben, um sie hier in einem engen Raume zusammenzudrängen. Die ekelhaften Scenen, die sich hart aneinander drängen, sind viel ärger, als die Mysterien von Engen Sne, und sie beleidigen um so mehr, weil sie mit einem so unnennbaren Talent ausgeführt sind. Wie ist es möglich, daß ein Dichter wie Dickens eine solche Scene beschreibt, wie den Selbstver- brennungsprvceß des versoffenen Trödlers, oder die Scenen zwischen dem würdigen Ehepaar Smallweed.
Jene Scenen sind von einer gräßlichen realistischen Wahrheit, aber wie unwürdig ist es eines Künstlers, die gemeinen physische» Zuckungen des Fleisches mit jener Wollust nachzuempfinden, wie es hier Dickens gethan. Es gibt in der Geschichte der Medicin noch viel scheußlichere Kraukheiteu als er beschreibt, und er hat in der That soviel Gewalt über nnsre Einbildungskraft, daß uns bei seiueu Schilderungen übel werden mnß, daß wir, was er nns darstellt, nicht blos sehen uud hören, sondern auch riechen und schmecken^ aber Gott verhüte es, daß sich diese Manie, die gemeine Physik zum Gegenstand der Poesie zn mache», auch der besseren Dichter bemächtige! Die Darstellung des physischen Leidens ist in der Dichtung nur soweit berechtigt, als zur Darstellung deö moralischen und psychologische» Inhalts nothwendig ist; jeder Schritt über diese Grenze hinaus ist eine Sünde am heiligen Geist.,
Möchte der Dichter, dessen Begabung wir so hoch verehren, dessen frohes gläubiges Gemüth uns so manche schöne Stunde bereitet hat, recht bald durch ein neues Werk den schlimmen Eindruck wieder anölöschen, den diese arge Ver- irrung seiner Phantasie auf nns gemacht hat.