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Die Verdammniß des Faust von H. Berlioz.
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Die Verdammnis des Faust von H. Berlioz.

H. Berlioz hat wieder einmal eine musikalische Reise nach Deutschland an­getreten und fuhrt außer anderen Cvmpvsitionen auch Bruchstücke seines Faust dem deutschen Publicnm vor. Er scheint für denselben besondere Theilnahme in Deutschland zu erwarten, weil der Göthesche Faust die Grundlage bildet, und es ist daher Pflicht der Kritik ein ernstes Urtheil über diese französische Transscrip- tion des Faust abzugeben, um so mehr, als Berlioz gewohut ist, die Erfolge, welche deutsche Gutmüthigkeit und Höflichkeit wenn nicht schlimmere Einflüsse wirksam sind ihm zuzugestehen pflegt, in Paris als Folie zu benutzen, um dort neue Erfolge zu erlangen.

Der Titeldie Vcrdammmß'des Faust" weist freilich auf eiue wenigstens im Schluß von der Gvtheschcu verschiedene Auffassung hin, allein was aus den ersten Acten bekannt geworden ist, stimmt unangenehm mit Göthe übereiu. Ber­lioz nennt das Ganze eine Legende. Ob damit die geistige Auffassung oder die mnsikalische Form bezeichnet sein soll, möchte schwer zu sagen sein. Die Form cutspricht soweit man bei Berlioz von bestimmt ausgeprägter nnd durchge­führter Form reden kann so ziemlich der des Oratoriums; es sind einzelne breit ausgeführte Situationen aneinander gereiht, wobei der Schilderung durch bloße Instrumentalmusik allerdings ein ausgedehnterer Raum, als früher üblich war, eingeräumt worden ist. Das Recitativ, durch welches der Faden des Sujets fortgeführt wird, ist in der hauptsächlich durch Meyerbeer fixirten Weise des mo­dernen Opernrecitativs behandelt, stark nüancirt im Ausdruck, oft in die Cautilene hineiuspielend, uud stets vom vollen Orchester nicht so sehr unterstützt, als in den Hintergrund gedrängt. Auf diesem Grunde heben sich dann einzelne Chöre, Sologesänge und Ensembles vor, die in ihrer Anlage und Verbindung mit dem Ganzen nichts Ungewöhnliches haben. Die ganze Auffassung und Behandlung aber ist von dem, was wir unter legendenartig verstehen würden, so verschieden, als schlichte Einsalt und frommer Glaube von bizarrer Grübelei und pretentiöser Effecthascherei.

Grenzbote». IV. 18k>3, 46