Beitrag 
Aus Konstantionopel.
Seite
72
Einzelbild herunterladen
 

72

Aus Konstantinopel.

12. September.

Unsere Krisis ist langdauernder und der passive Widerstand, den die türkische Politik den Anmuthungen der vier Großmächte entgegensetzt, ein höherer, als man, namentlich im westlichen Europa, erwartet zu haben scheint. Es bedarf für Sie keiner Erwähnnng mehr, daß verschiedene Blätter, unter anderen dasJournal des Debats", im Irrthum waren, wenn sie von der Annahme der Wiener Propo­sitionen durch den Sultan wie von einer vollendeten Thatsache redeten. Sie wissen dagegen durch meine letzten Mittheilungen, daß diese Annahme nnr be­dingungsweise und unter Stellung von Vorbehalten geschah, welche die endliche Entscheidung nochmals um ein bedeutendes hinausschoben. Am 19. v. Mts. gingen die Erklärungen der Pforte, in Erwiderung auf die ihr gemachten Vor­schläge, von hier ab; sie waren am 27. in Wien, und mußten, da sie schnell expedirt wurden, am 31. desselben Monats bereits in St. Petersburg einge­troffen sein. Unter solchen Umständen mag es einigermaßen in Verwunderung setzen, daß bis jetzt von letzterem Orte ans hier noch keine Entscheidung auge­langt ist; zumal wenn man bedenkt, daß der freilich ungeheuere Weg von der Capitale Rußlands bis Stambul innerhalb 89 Tagen von russischen Feld­jägern zurückgelegt zu werden Pflegt, und in diesem Falle auch der elektrische Telegraph streckenweise hätte in Anwendung kommmen können. Man meint darum mit Recht deu Schluß ziehen zu dürfen, daß vom Petersburger Cabinet eine definitive Annahme nicht für statthaft erachtet worden ist.

Die türkischen Rüstungen sind inzwischen der Hauptsache uach beendet worden. Sie sragen nach dem Resultat? Kurz zusammengefaßt ist es dies: daß augen­blicklich in der Bulgarei, d. h. auf dem europäischen Kricgslheater zwischen der Donau und dem Balkan, 104,000 Mann, und in der Umgegend von Erzerum, sowie bei Trapezunt, also auf der dem Kaukasus zugewendeten Fronte, 20,000 bis 23,000 Mann concentrirt sind. Diese Kraftentwickelnng geht bedeutend über das Maß hinaus, welches russische und östreichische Organe für möglich erachteten; sie bleibt aber nicht minder unter den Schätznngeu zurück, die in französischen nnd englischen Blättern gemacht worden sind. Schließlich behalten diejenigen Keuner hiesiger Zustände recht, welche die türkische Truppenmacht im Fall eines Krieges auf 130,000 Maun anschlugen.

Hente vor acht Tagen wurden die bei Hunkiar-Jspalessi gelagert gewesenen egyptischen Truppen, alles in allem im Belaufe von 13,i00 Mann, nach Warna übergeführt. Omer Pascha hatte sich in Person nach dieser Festuug begeben, um der Ausschiffung beizuwohnen. Es hat den Anschein, Egypteu werde nicht mehr Hilsstrnppen senden. Ueber die Art und Weise, in welcher England dabei