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naturwüchsige Ausbruch der Leidenschaft und des Hasses. Bei den germanischen Völkern haben allmälig sämmtliche Stände etwas von der Natur und den Grundsätzen des Bürgerstandes angenommen, während bei den Romanen der Adel das leitende Vorbild geblieben ist. Was uns Deutschen, z. B. wenn wir von den Studenten uud Officiereu absehen, in solchen Fällen zunächst entgegentritt, ist die Scheu, nicht vor einem ernsten tragischen Ausgang, sondern vor der Lächerlichkeit. Daß nun hier weder die eine noch die andere Seite der Betrachtung überwiegt, ist eins von den vielen Symptomen, die uns zeigen müssen, daß in dem Fundament unsrer sittlichen Voraussetzungen nicht alles so solid ist, als wir es wol wünschen möchten.
Weder durch öffentliche Staatsgesetze, noch dnrch philosophische Auseinandersetzungen, wird in der Sitte etwas Wesentliches geändert werden. Wir müssen überdies ganz offen gestehen, daß grade in dem gegenwärtigen Augenblick, wo die Deutschen ansangen, aus der Einseitigkeit ihres bisherigen Privatlebens in die Oessentlichkcit überzutreten, uns die Fortdauer des Instituts auch in der bisherigen schwankenden Form als eine Wohlthat erscheint: der Cynismus nud die Barbarei ist uns zu nahe getreten, als daß wir nicht wünschen sollten, für den Nothfall ein äußerstes Mittel zu haben, das uns wenigstens vor der ärgsten Verwilderung schützt. Denn wenn wir alle ästhetische Haltung in unseren gesellschaftlichen Verhältnissen verlieren, so ist auch der moralischen nicht viel Dauer zu versprechen.
C o r r e s p o n d e n z e n.
Ans England. Bewegliches Vermögen zahlt in England eine Erbschaftssteuer von Proccnt, unbewegliches Vermögen war bis jetzt ganz frei und soll nun nach der von dem Schatzkauzlcr Herrn Gladstone dem Parlament vorgelegten Bill bei jeder Vererbung eine Abgabe von Proceut bezahlen. „Das ist ein Angriff auf die aristokratischen Institutionen des Landes! Das ist schmachvolles Coquettiren mit dem extremsten Radikalismus! Das ist reine Plünderung!" rief Sir I. Pakiugton, als er neulich seinen Antrag auf Verwerfung dieser Bill stellte, und der mit seinen Parteigenossen mit dem ausschließlichen Privilegium couscrvativer Grundsätze behaftete Staatsmann sprach die Hoffnung aus, daß steh das Volk der Einführung einer solchen Steuer widersetzen werde. Glaubt man da nicht die Kreuzzeitung nnd ihren Schützling, den märkischen Städtezermalmer, zu hören? Man ficht, auch in England stellt der seit langer Zeit übermäßig bevorrechtete große Grundbesitz seine kleinen Privatinteressen unter den Schutz eines politischen Princips; aber soweit hat er es »och nicht gebracht, um wie seine College» in Deutschland zu behaupten, sein Privatintcresse sei eine göttliche Einrichtung, von der Vorsehung als eine Art uttvr ego aus Erden eingesetzt, um die menschliche Gesellschaft vor dem Untergang zu retten. Obgleich er jedoch die Ueber-