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Wochenbericht.
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Haupt des aristokratischen Familicnl'undcs, figurirt. Die Gcneralstaaten sind vertagt worden. Es läßt sich voraussehen, daß ihre Auslösung der Vertagung folgen muß, da die Mehrheit der 60, mit wenigen Ausnahmen, dem gestürzten Cabinct anhängt. Man wird aus den Neuwahlen mit Hilfe des protestantischen Fanatismus rcactionäre Kammern zu gewinnen, durch diese eine rcactionaire Verwaltung zu befestigen suchen, man wird vielleicht sogar den Versuch machen, auf die 1848 vollzogenen Verfassungs­änderungen zurückzukommen. Die glückliche Entwickelung des constitutionellcn Lebens in den Niederlanden ist somit unheilvoll unterbrochen worden, und kommt die Nation nicht rasch zur Besinnung über ihre Uebercilung, so dürsten bald noch schlimmere Folgen zu beklagen sein.

Religionshändel im heiligen Lande. Eine Pariser Korrespondenz der ,,Jndependance bclge" berichtet so curiose und nicht gerade schmeichelhafte De­tails über die Wirksamkeit des protestantischen Bischofssitzes, den England und Preußen gemeinschaftlich in Jerusalem vor etwas länger, als zehn Jahren errichtet haben, daß eine Mittheilung derselben, wenn auch nicht erbaulich, so doch interessant sein dürfte. Die Ausdehnung des evangelischen Bekenntnisses wird hiernach meistens dadurch erzielt, daß man Juocn gegen eine mäßige Pension zur Annahme desselben bewegt, ein BekehrungsmvduS, der eben nicht besonders aus glaubensreine und glaubens­starke Proselytcn schließen läßt. Rückfälle sind daher Seitens derselben eine häufig wiederkehrende Thatsache. So lag kürzlich ein derartig pensionirtcr, evangelisch gelaus­ter oi-clkviuit Jude auf dem Todtenbettc und empfand jetzt, wo der Werth der irdischen Güter schwand, einen so großen Drang zur Rückkehr nach seinem alten Glauben und Beängstigungen über das herannahende Jenseits, daß er nach dem Nabbi schickte, um von ihm wieder in den Schovß der jüdischen Gemeinde aufgenommen zu werden. Verwarf dieser das Gesuch des Abtrünnigen oder käm er zu spät, kurz, der­selbe starb, ohue seinen Wunsch erfüllt zu sehen, formell als evangelischer Christ, dem Wesen nach als reuiger Jude. Ist das Leben erst entfloh», so pflegt der Proselyten- eiser, der zweifelhafte Seelen zu gewinnen strebt, in seinen Gegensatz umzuschlagen und der religiöse Fanatismns, so begierig er früher war, die Seele sein zu nennen, eben so unbarmherzig die Körper derer, deren Glaube zweideutig war, zurückzuweisen. So auch in diesem Falle. Die Protestanten, genöthigt, den äußerlich als Protestant Gestorbenen auf ihrem Kirchhof zu begraben, gruben ihn in der nächsten Nacht heimlich aus und scharrten ihn aus dem jüdischen Gottesacker ein. Die Juden, hiervon in Kenntniß gesetzt, rissen die Leiche des Apostaten in der nächsten Nacht wieder auS ibrcr Gruft, und hiugeu sie auf dem Protestautischen Begräbnißplatz ans. Acht Tage lang dauerte diese unfreiwillige Hin- und Herreise des von beiden Theilen vcr- fehmten Leichnams, wobei wir nicht erfahren, in welche Attitüden er dabei noch ge­kommen sein mag. Hoffentlich bat die Seele dieser mißhandelten Hülle indessen größerer Ruhe sich erfreut. Endlich fand sich inmitten dieser Fanatiker des alten und neuen Testaments ein Vermittler, der sich als der einzige Christ in dieser schauderhaften Affaire bewies, obwol er ein Bekenner des Koran war! der türkische Gouverneur. Er entriß die Leiche den scindlichcn Glaubcnsparteien und ließ sie, wenn auch nicht aus dem muselmäuuischen Friedhof, so doch aus einem Platze begraben, wo sie den ewigen Schlas ungestört schlafen kann.

Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.

Als verantwort!. Redacteur legitimirt: F. W, Gruuow, Verlag von F. L. Herbig

in Leipzig.

Druck von C> E. Elbert in Leipzig.