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Neue deutsche Romane.
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Der Fehler des Verfassers liegt also nicht darin, daß er in seinem jungen Helden den Entschluß zu einem unrechten Thun aufkommen läßt, sondern in der Methode, wie er selbst diesen Entschluß beurtheilt, und wie er ihn auf den Helden, seine Vertrauten und die Katastrophe wirken läßt. Wir werden im wirklichen Leben immer die Verpflichtung haben, die Verirrungen und falschen Schritte eines Menschen schonend und wohlwollend zu beurtheile», ja wir werden kaum zn tadeln sein, wenn wir für das Unrecht, welches ein uns theurer Mensch begangen hat, alle Entschuldiguugsgrüude mit Sorgfalt so hervorheben, daß sein Unrecht mög­lichst gering erscheint; aber in dem Reiche der Kunst, der Freiheit nnd Schönheit müssen die ewigen Gesetze der Sitte nnd des Rechtes stets klar nnd allmächtig heraustreten, denn die einzige Grundlage wahrer Schönheit ist der sichere Fond von ethischen Empfindungen, welche der Dichter und seine Zeit haben. Wo dieser Grund wankt oder verloren gegangen ist, da wird das Schöne häßlich und die edelsten Intentionen des Schreibenden verwandeln sich in seiner Feder zur gemeinen Caricatur.

Da die hier besprochenen Romane benutzt wurden, einige allgemeine Be­merkungen daran zu knüpfen, so möge diese Kritik noch mit einer allgemeinen Forderung an unsere Romanschriftsteller schließen, mit dem einfachen und beschei­denen Verlangen, daß sie doch selbst die Rnhe haben mögen, ihre Arbeiten, bevor sie gedruckt werden, prüfend mit aller Kritik, die sie ausbringen können, durch­zusehen^ uud sowol die Sprache als die Begebenheit, welche sie darstellen, mit Verstand zu receusireu. Es ist anzunehmen, daß sie trotz aller Vorliebe, welche der Schriftsteller für das von ihm Erfundene hat, doch in vielen Fällen Unver­ständiges nnd Flüchtiges in Styl und Darstellung wieder wegbringen können. Die deutsche Sprache und das deutsche Leben, beide vertragen keine Flüchtigkeit in der poetischen Behandlung. Wer in Deutschland ans seinen Styl nicht große Aufmerksamkeit verwendet, der schreibt sicher schlecht. Unsere edle Sprache hat nächst der englischen die größte Fähigkeit für Ausdruck des Originellen, Charak­teristischen nnd Ergreisenden, aber sie macht es nns nicht leicht, während in Paris auch der mittelmäßige Nomanschreiber eine Glätte und verhältnißmäßige Eleganz ohne übergroße Anstrengung erreichen kann. Und wer ferner irgend einen Kreis des deutscheu Lebens darstellen will, grade der soll die Verhältnisse und Charaktere dieser bestimmten Sphäre auch sehr geuau und mit allen Einzelheiten studirt haben, bevor er sie idealisirt, weil gerade die innerste Eigenthümlichkeit der deutschen Natur, die kräftige, gemüthvolle Emsigkeit, welche den Deutschen in Arbeit nnd Genuß, iu Lieben und Hassen auszeichnet, nnr anschaulich werden kann durch ein genaues Charakterisiren der Individuen, ihrer Verhältnisse und ihrer mensch­lichen Thätigkeit.

Alle deutsche» Romane und Novellen, die der Gräfin Hahn und die Ritter vom Geist etwa ausgenommen, welche in den letzten Jahrzehnten eine größere