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Strömungen der politischen Bewegungskräste gegen einander ankämpfen, die eine für die Stärkung und Erweiterung der centralisirten Kraft des Ganzen, die Vereinigung, die andere für die Wahrung oder Mehrung der Selbständigkeit der Theile, der einzelnen Glieder des Ganzen. Diese Scheidung in zwei große politische Parteien zeigt sich auch in den drei gegenwärtig am Meisten hervortretenden Staatskörpern jener Art, in dem deutschen Bunde, der Union der nordamerikanischen Freistaaten und der Eidgenossenschaft der Schweizerkantone. Läßt man aus mehreren Gründen Deutschland aus allem Vergleiche, so sieht man mit Befremden, daß in Nordamerika die wenigstens vergleichweise mehr conserva- tiven Whigs gegen die mehr radicalen Demokraten die Centralisationsrichtung vertreten, wahrend in der Schweiz umgekehrt die meisten Branchen der alt- und neuconservativen Parteien für die mir föderalistische Auffassung der Eidgenossenschaft sich anstrengen nnd von der Centralgewalt in Bern sich keineswegs eine Förderung ihrer Wünsche und Güter versprechen. Ich sage absichtlich: die meisten Branchen, denn anch hier sieht man sich von jenem Generalisiren abgemahnt, durch welches so oft einzelne richtige Beobachtungen über schweizerische Verhältnisse aus einen ganz falschen Ausdruck gebracht worden sind. Denn während in der Schweiz diejenigen cvnservativen Richtungen, welche wie überall durch die Vertreter der größeren Industrie, des Großhandels und des Capitalbesitzes repräsentirt werden, sich für die Ausbildung und Kräftigung der Bundes- centralgewalt, welche gemeinsames Maß, Gewicht und Geld, Erleichterung des Verkehrs u. s. w. zu schaffen unternommen hat, aussprechen, und von dem weiteren Vorschreiten aus der betretenen Bahn das Heil der Schweiz prophezeien, so nehmen andrerseits die von den Interessen der Kirche inspirirten Conservativeu mit steigendem Unmuth die gewappnete Stellung oder gar den Angrisssmuth der durch die letzte Bewegung hervvrgetretenen Staatsgewalt wahr, und die Aristokratie der Geschlechter weist bauernverständlich auf die Kostspieligkeit der neueren Verwaltung, auf die Vielregiererei und das anschwellende Personal der heraufziehenden Bureaukratie hin. Dazu nehme man nur noch die aus den geschichtlichen Lebensbedingungen der Schweiz und ihrer einzelnen Landestheile hervorgewachsene Thatsache, daß hier zn Lande alle politische Parteien, wenn sie gleich allgemeine Principien auf ihre Fahne schreiben, doch überall eine locale Färbung haben, so wird man alsbald nicht nur den Umstand begreisen, daß manche, wie es scheint ganz einfache, allgemeinere politische Parteifragen so verschieden in diesem und jenem Lager aufgefaßt und beurtheilt werden , sondern es wird auch das ironische Lächeln erklärlich, mit welchem man hier die Schlußfolgerungen liest, welche selbst große Organe der ausländischen? Presse aus den Aeußerungen einzelner „conservativer" oder „radicaler" Schweizerblätter auf die allgemeine Stimmung der Parteien oder gar des Landes machen. Nach diesen Andeutungen wird man leichter einsehen, warum auch die Tessiner-Angelegenheit in so verschiedener
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