400
ständigen Lehrer eine Menge nützlicher Andeutungen, geben gute Anleitung zur Ausbildung eines guten Geschmacks, und zeigen deutlich und eifrig die Unnatur der durch die neuen Italiener und Franzosen geschaffenen Gesangsmcthode. Eine Eigenthümlichkeit des Buchs, gleichsam ein Wiederspiegeln von dem Temperamente des Verfassers, liegt in der Art und Weise seines Styls. Derselbe ist unruhig und hastig, nicht glatt und geordnet genug, wenn es gilt, ruhig das gerade vorliegende Thema zu durchgingen und zu verarbeiten. Wenn man ruhige Dcductionen erwartet, stößt man plötzlich auf persönliche Anreden, und so geschieht es, daß wir uns plötzlich in ein Gespräch mit einem Spieler oder einer Sängerin verwickelt sehen, gewiß nur zu unsrrm Vortheil, denn die präcise Rede und Gegenrede, das Beziehen aus bestimmte, concrete Fälle geben oft mehr Aufhellung, als eine' pedantische, geiehre Ausführung. Einzelne Capitel sind überhaupt in kleine Scenen ans dem musikalischen Gesellschaftslcbcn eingekleidet. Ernst und Scherz, Ironie und Laune wechseln mit einander, zwischen den Zeilen aber stehen die ernstesten und bittersten Wahrheiten, und jede in diesen Scenen auftretende Figur kanu als Typus von Figuren gelten, die dem Künstler aus seinen oft schwierigen und nnangcnehmen GesellschastSwegen begegnen. Das ganze Buch verdient Beachtung, weil es gegen die Mängel und die falsche Richtung unsrer Zeit mit Ernst zu Felde zieht; der gute Zweck wird bald die mancherlei Ungeschicklichkeiten in der Form vergessen machen.
Literatur. — ZZIim, lusioiri; ä'un povlk russö, pgr ?gu!in Mbo^st.
(Leipzig,- Michelsen.) — Wir haben von dem Verfasser dieses Romans bereits ein früheres Werk besprochen: I.a olümvr^ Was bei demselben zunächst auffällt, ist die feine, graziöse und gemüthvolle Sprache. Dcr Dichter hat feine Beobachtungen über das menschliche Herz gemacht, er läßt die mannichfaltigsten Gefühle anklingen, und sie sind wenigstens selten unwahr. Aus das Acußcrliche, aus die Geschichte, und was dazu gehört, legt er wenig Gewicht. Seine Erzählungen sind fast nur skizzirt, fast zu hastig, die Empfindung ist ihm die Hauptsache. Es ist in dieser Richtung aus die bloße Ein» pfindnng immer etwas Bedenkliches, und wir finden in der That bei einer ganzen Reihe der begabtesten französischen und englischen Schriftsteller die Neigung, sich immer mehr in's Aetherische zü verlieren und darüber den festen Stoff ans den Händen zu lassen, der doch eigentlich dcr Welt der Empfindnngen erst die sichere Grundlage giebt. Bei einer edlen Natur geht daraus nur eine gewisse Weichheit hervor, die zwar rührt, aber nicht ergreift; indessen liegt noch eine andere, größere Gcsahr nahe, nämlich bei dem Vorwalten der bloßen Stimmung das sittliche Urthcil aus dem Spiel zu lassen. Dieser Verirrung ist der Verfasser glücklich entgangen. Der eigentliche Hauptcharaktcr, obgleich er in seiner bescheidenen Färbung hinter den romantischen Hclden und Heldinnen zurücktritt, der Advocat Mvnars, der ehrlichste, aufopferndste Mensch, dcr von aller Welt betrogen und gemißbraucht wird und trotz aller bittere» Erfahrungen immer wieder die Gesundheit uud Integrität seines Gemüths wiederherzustellen weiß, ist eine sehr glückliche Erfindung. Der Dichter hat es verstanden,, was eine sehr schwere Ausgabe ist, unser Mitleid rege zn machen, ohne daß sich jenes Gesühl der Geringschätzung damit vermischte, dem man in solchen Fällen nur selten entgehen wird. Auch die anderen Figuren sind wenigstens glücklich angelegte Capricen. Jedenfalls gehört Herr Niboyet zu den interessantesten Erscheinungen dcr neuesten französischen Romanlitcratur.
Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt»
Als verantwort!. Redacteur lcgitimirt: F. W. Grunow. —- Aerlag von F. L. Hevbig
in Leipzig.
Druck von C. E- Elbert in Leipzig,