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Aesthetische Feldzüge. I. : Gegen Professor Ulrici in Halle.
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großen Kunst/ mit der Shakespeare seine Personen iudividualifirt, ist man über­haupt nnr zu geneigt, die Frende an der Darstellung mit der Freude am Gegen­stand zu verwechseln. Aber Shakespeare's Größe besteht unter Anderem auch darin, daß bei ihm diese Verwechselung niemals stattfindet, weil er uiemals den gesnnden Menschenverstand verliert. Er läßt sich von seinem. Interesse für die starke Willenskraft eines boshaften und für den unverwüstlichen Hnmor eines gemeinen Charakters niemals hinreißen, die Stimme seines - Gewissens zu überhören. Falstaff wird zum Schluß des Stücks mit eiuem höchst verdienten und für das Verständniß der ganzen Handlung durchaus nothwendigen Fußtritt abgefertigt, nud weuu der HanSwurst sich auch über diesen Fußtritt zu trösten weiß, so betrügt er damit doch nicht die Empfindnng des Dichters. Wer aber auf die Idee kommen kann, in der Figur dieses trotz seiner, humoristischen Anlagen dnrch und durch verächtlichen Lumps habe sich Shakespeare selber ironisireu wollen, der zeigt sich doch wol damit als nicht besonders befähigt, das eigentliche Wesen der Shake- speare'schen Poesie zu begreifen.

Wir legen' ans diesen an sich geringfügigen Umstand darum Gewicht, weil er die entscheidende Frage berührt. Ulrici ist darüber verwundert, daß bei dem Sturm, der sich seit den letzten dreißiger Jahren von Seiten der Philosophen und Historiker gegen die Romantik erhob, Shakespeare von der Prvscriptionsliste ausgeschlossen sei, da man ihn doch früher für den Hauptdichter der Nomantik gehalten habe. Er sucht einige Gründe anzuführen, die aber nicht erschöpfend sind; den naheliegenden und vvllkvmmeu ausreichenden hat er übersehen. Der AnSdruck Romantik war damals ein Stichwort, mit dem man nach Belieben um- ging. Die Anhänger der Romantik bezeichneten damit die Poesie überhaupt, die Gegner die Verschrobenheit. Nun ist es nnzweifelhaft und wird von Ulrici ganz richtig hervorgehoben, daß man einen großen Theil der Shatefpeare'schen Stoffe als romantisch, d. h. hier als unverarbeitet, als irrationell bezeichnen kaun, und daß ein großer Theil deS Zaubers, den Shakespeare ausübt, in seinem innigen Verhältniß zu deu mittelalterlichen Zuständen gesucht werden muß, welche dreiste Farben und Striche mehr begünstigtes als die Culturverhältuisse der neuen Zeit. ' Eben so klar ist xs aber auch, daß er diese Stosse ganz entschieden im Geist der modernen Gesinunug verarbeitet hat, die keineswegs so arm an Poesie ist, als man uuS einrede» möchte; denn wenn man ihn in Beziehung auf seine Kunstform, d. h. im Gegensatz gegen Racine und Bvileau, romantisch uennt, so meint man damit etwas ganz Anderes, man meint die naturwüchsige Form des germanischen Theaters, die eben so wenig die Ehre verdient, im gewöhn­lichen Sinn dieses Worts romantisch genannt zu werden, als die eigentlich germanische Banknnst, da beide aus der Natnr des Landes und des Volks auf eine ganz rationelle Weise erwachsen waren. Ob man bei diesen Formen des germanischen Theaters stehen bleiben, oder ob man nach dem Vorbild der Franzosen wieder ans