Beitrag 
Charakterbilder aus der deutschen Restaurationsliteratur : Ludwig Achim von Arnim, geb. 1781, gest. 1831.
Seite
246
Einzelbild herunterladen
 

246

die Aufgabe der übrigen Künste, ein schönes Bild herzustellen; jener Cnltns der Humanität, der das ganze Weltall umfaßte und alle individuellen Unter­schiede zu verwischen glaubte; jene Freimaurerei, die weit über die Grenzen dieses Ordens hinausging und eine fictive Welt' des Guten, ein Vorbild der spätern Ritter vom Geist, der wirklichen Welt entgegensetzte. Wenn die Schlegel später auf das Mittelalter, ans den Katholicismus, aus Indien zurückgingen, so vertraten diese neuen Spielräume der Phantasie nur die Stelle des bekanntern und daher schon trivial gewordenen classischen Alterthums; sie gehörten aber derselben senti­mentalen Richtung an, die, unfähig, dem Reich der Ideale einen eigenthümlichen Ausdruck zu geben, uuter den Wundern beider Hemisphären > herumstöberte, um für ihren neuen Tempel die Bansteine zusammenzufinden.

Die Schlacht bei Jena war, wie schon gesagt, der electrische Schlag, der im Bewußtsein der gesanunten Nation eine totale Widergebnrt Hervorries. Die' harten Schläge, die das deutsche Volk erlitt, zeigten ihm, daß das lustige Schloß der Ideale keine sichere Behausung sei, und daß es selbst, um mir ruhig schwärmen zu können, sich erst zu Hause sicher einrichten müsse. Man erkannte eS als die wahre Aufgabe der Kunst, dem wirklichen Leben einen idealen Cha­rakter zu geben. Zn diesem Zweck mußte sie sich aber erst in das wirkliche Leben vertiefen. Das wirkliche Leben konnte kein anderes sein, als die Natio­nalität, wie sie sich geschichtlich individncll entwickelt hatte. Auf diese Weise hängt der Germanismus, die Reaction gegen die Antike uud das Weltbürger- thum mit dem zusammen, was wir früher als Jdcntitätsphilosophie bezeichnet haben. Das Reich des Guten, Schönen nnd Idealen mnß da gesucht werden, wo man sich befindet. Das war in beiden Gebieten der leitende Grundsatz; ein sehr rich­tiger Grundsatz, der aber nnr zn bald wieder auf die seltsamsten Abwege sührte.

Früher hatte sowol die Partei der französischen Aufklärung, als die Partei der deutschen Kunst das, was sie billigen konnte, nach einem allzu strengen und einseitigen Maßstab gemessen. Die Aufklärung erkannte nichts Jrrationelles an, obgleich schon ihre LieblingSwissenschaft, die Mathematik, sie hätte überführen können, daß man unter Umständen allerdings mit irrationcllen Größen rechneu mnß; die absolute Kunst hatte keine Form gelten lassen, die ihren typischem Vor­stellungen widersprach, obgleich doch selbst die Musik Dissonanzen zu verwerthen weiß. Wenn die Reaction gegen diese Einseitigkeiten also dabei stehen geblieben wäre, das Jrratiouelle und das Dissonirende als aufzulösende Momente in Wissen­schaft nnd Kunst einzuführen, so wäre der Gewinn ein unbestreitbarer gewesen. Aber es lag die Neigung zu nahe, das Verhältniß umzukehren, und das, was früher verworfen war, als das allein Berechtigte darzustellen. Wenn im frühern Lehrbuch der Aesthetik das Schöne als nicht wirklich nnd das Wirkliche als nicht schön aufgefaßt war, so war man jetzt im Gegentheil geneigt, zu behaupten, alles Wirkliche, d. h. alles in der zufälligen Erfahrung Wahrgenommene, sei schön,