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Vor zweihundert Jahren und jetzt.
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Verhältniß zwischen theoretischer Gelehrsamkeit und verständiger Thatkraft zeigt, so mnß in ihrer Vergangenheit Etwas gewesen sein, was eine gesunde, harmonische Entwickelung gewaltsam gestört hat.

Wir werdeu unseren Historikern sehr dankbar sein, wenn sie uns darüber genanen Aufschluß geben; wenn sie uns sagen, weshalb seit 200 Zahren Deutsch­land so weit hinter England zurückgeblieben ist, weshalb in derselben Zeit Frankreich das deutsche Gebiet so bedeutend schmälern und einen so verhänguiß- vollen Einfluß auf die Geschicke unsrer Station ausüben konnte, weshalb Rußland in derselben Zeit zu einem übermächtigen Nachbar nnd zum Schirmherrn Deutschlands heranwachsen konnte. Offenbar kommt es bei einer solchen geschichtlichen Dar­stellung unsrer Vergangenheit nicht sowol auf Erzählung der traurigen Ereignisse an, fondern ans gründliche Erörterung der Wirkungen, welche diese Ereignisse bis zur Neuzeit auf Gemüth, Wohlstand und Kraft des Volkes ausgeübt haben. Nicht die unselige Verfassung des deutschen Reiches, nicht die Zersplitterung der Natiou in zahlreiche Souverainetäteu, nicht die religiösen Kämpfe seit der Refor-- mation und die daraus hervorgegangcnen Gegensätze in unsrem Leben, auch nicht die continentale Lage Deutschlands erklären, an sich betrachtet, die bis in die Neuzeit reichende Verkümmerung der Nation, sondern erst der vollständige Ruin an Meuscheukraft, Capitalien und Production, welcher durch die Folge dieser Verhältnisse, den 30jährigen Krieg, bewirkt wurde. Dieser furchtbare Völkerkampf ist mit keinem andern Kriege zu vergleichen, höchstens mit der Verwüstung, welche die Völkerwanderung hervorgebracht hat. Wir alle in Mittel- und Norddeutsch- laud haben von dem Grunde dieses Kampfes Vieles erfahren, aber die Betrach­tung ist uns doch nicht geläufig, daß wir noch jetzt an den Folgen desselben zu leiden habcu. Dies zu beurtheilen lehren uns die bisherige» politischen Geschichten Deutschlands nnd der einzelnen Staaten noch nicht hinlänglich. Denn der Mechanismus der Negierungen kam nach dem Kriege verhältnißmäßig schnell wieder in Gang; wenn viele begüterte und angesehene Familien durch den Krieg Serarmt, zerstreut, dnrch Schwert, Feuer uud Pest vernichtet waren, so fanden sich schnell andere, welche die Ueberreste der hinterlassenen Habe sich anzueignen wußten; wenn die Staaten verwüstet, und die Unterthanen verwildert waren, so war auch den Regierenden, wie den Geschichtschreibern dnrch das lange Elend der Maßstab für Volkswohlstand und die Ansprüche an das eigene Leben geringer geworden; sogar die Staatseinnahmen erreichten ziemlich schnell wieder eine respectable Höhe, weil die Organisation der Staaten durch den Krieg eine andre, und die Macht der Souveraine fast grenzenlos geworden war. Und oft haben uusre Geschichts­schreiber sich über eine gründliche Darstellung der Folgen dieses Krieges dadurch weggeholfen, daß sie die Bemühungen der Regenten nach dem westphälischen Frieden aufzählten, dnrch welche dieselben das verödete Land wieder zu füllen, und die Staatseinnahmen zu vergrößern suchten.