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Die constitutionelle Partei in Preußen.
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Die constitutionelle Partei in Preußen.

Ein Schlag, den wir schon lange befürchten mußten, ans' dessen Abwendung durch die vereinigten Kräfte der Partei wir aber dennoch gehofft hatten, hat uns jetzt zu Anfang des Semesters wirklich getroffen: das Centralorgan der Partei in Preußen, die Berliner Constitutionelle Zeitung, geht mit den: 1. Juli ein. Es wäre ein thörichtes Unternehmen, die ernste Bedeutung dieses Ereignisses wegläugnen oder auch nur den Grund davon in der allgemeinen Kalamität, welche dnrch den Zeitungsstempel uud das nuu leider iu den Staatsanzeiger aufgenom­mene Postgcsetz die gesammte Presse trifft, suchen zu wollen. Der Hauptgrund liegt vielmehr in einer tadclnswerthen Nachlässigkeit unsrer Partei, die diesmal um so weniger ein kleines Opser in einer so ernsten Sache hätte scheuen sollen, da dieses Opser verhältnißmäßig ein sehr geringes war. In wenigen Monaten muß eine politische Agitation beginnen, deren Erfolg nicht blos für den Verlauf der nächsten parlamentarischen Session, sondern für die gesammte constitutiouelle Entwickelung Preußens entscheidend ist. Es ist vorauszusehen, daß unter solchen Umständen der Maugel eiues Centralorgans sich auf eiue höchst peinliche Weise fühlbar machen wird.

Wie die Sachen stehen, hat jetzt die Provinzialpresse die wichtige Ausgabe, Tag für Tag ohne Unterlaß daran zu erinueru, daß jetzt der Zeitpunkt ist, wo unser ganzes System die Feuerprobe bestehen soll. Am verderblichsten wäre es, sich einem leichtsinnigen Optimismus zu überlassen. Bei der weitverbreiteten Blasirtheit in politischen Dingen, bei der stumpfen Gleichgiltigkeit der Massen, bei der Unklarheit und Unsicherheit unsrer nächsten Zukunft ist mit Sicherheit voraus­zusehen, daß nur eine thätige, entschlossene und unermüdlich arbeitende Partei auf die Wahlen einigen Einfluß gewinnen kann. Wir haben alle» Grund, ans unsrer Hnt zu sein, das nicht der bei weitem größte Theil der Wahlen in die Hände der Reaction falle.

Zwar wäre auch damit noch nicht das letzte Wort gesprochen, denn auch in der eigentlichen Reaction ist bereits eine sehr deutliche Meinungsverschiedenheit an den Tag getreten. Die eine Richtung derselben, die sich am klarsten in der berühmten Rede des Grafeu Arnim ausgesprochen hat, will einfach die Rückkehr zum alten Absolutismus, allenfalls' mit etwas ständischem Apparate, die andere dagegen, vorzugsweise durch die Kreuzzcituug vertreten, will bestimmte Vorrechte für den Adel und die Kirche, sowol der Krone als dem Volke gegenüber, und glaubt diese Vorrechte am zweckmäßigsten in einer parlamentarischen Form wahren und erwerben zu können. Es wäre also wol möglich, daß selbst in einer specifisch reactionaireu Kammer der Zwiespalt zwischen diesen beiden Richtungen den voll­ständigen Bruch mit dem Constitutionalismus noch anshalteü könnte; allein einer-

Grenzbotm. iW, ' 10