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Wochenbericht.
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dann mußten wir durch das Vorhergehende darauf vorbereitet, und nicht in einer Episode überrascht werden. Neben der Charlotte treten noch zwei Frauen auf, Madame Ro­land, die trotz der vielen Worte, die sie zu sprechen hat, nur ganz schattenhaft flizzirt ist, und Lambertine, ein Mädchen aus dem Volke, das in Barbaroux verliebt und aus Charlotte eifersüchtig ist. Diese Figur ist mit einem gewissen theatralischen Jnstinct angelegt, und wird auch, wie es jetzt steht, obgleich die Zwecklosigkeit ihres Betragens und ihr ganz unklarer Ausgang das Gefühl verwirren, ihre Wirkung nicht verfehlen. Die übrigen Personen sind wesentlich rhetorisch, ohne dramatisches Leben. Die Zusammenstellung der Fabel zeigt bei aller Rohheit doch immer von einem gewissen dramatischen Geschick, welches bei einer reifern Bildung nnd bei einer größern Gewissenhaftigkeit in der Kunst zu guten Leistungen hätte führen können. Gegenwärtig ist wenig Hoffnung dazu da, denn die Manier sieht zu fertig und selbstgefällig aus, als daß man noch an eine Um­wandlung denken könnte. Für das Princip der Aesthetik wären die Stücke in sosern von einem segensreichen Einfluß, wenn man sich durch sie von der Unmöglichkeit über­zeugt hätte, die Massen auf dem Theater in Bewegung zu setzen und Ideen zu Helden eines Stücks zu machen. In der Oper ist cS anders, aber im Drama interessiren uns nur bestimmte Individualitäten, deren Natur wir vollständig durchschauen, und über deren sittliches Verhältniß zu dem Schicksal, welches sie trifft, wir uns ein vollstän­diges Urtheil bilden können. Die Masse kann nur dazu dienen, dem Gemälde dieses Schicksals den angemessenen Rahmen zu geben, und aus der Idee kann man nur die Beleuchtung nehmen, sie muß das Kriterium unsres Urtheils sein, nicht der Stoff, an dem wir unser Urtheil zu bewähren haben.

Aus München. Die beiden hiesigen Volksthcater sind zwar von dem Urzustand wandern der Bühnentruppen schon entfernt, und die Einrichtung, wenn auch nicht die Größe ihrer Buden, entspricht dem Zweck hinlänglich. Dagegen findet noch ein häufiger Wechsel des Personals statt. Eine scharfe (sogenannte) sittenpolizeilichc Controle wird geübt, obwol' ohne Erfolg, und der ganze Bombast einer, nnr von der Gunst des Publicums existirendm Schauspielerzunst offenbart sich in den riesigen Formen der farbigen Anschlagzettel, im Selbst­lob der Ankündigungen u. dergl. Das Repertoir ist die pgrtik Konwuse der beiden Institute. Ein Blick auf den darin maßgebenden Geschmack des Münchner Publicums kann dies erklären, so wie München überhaupt in vielen Punkten nur ein schwacher Abklatsch von Wien ist (wie Darmstadt von München), so influenzirt auch der schlechte Wiener Geschmack z. B. in der bunten Ucberladung der Damentoiletten, in äußerem Prunk und innerer Hohlheit, hier vollständig, nnd die Wiener platten Vorstadtpossen werden für äußerst ergötzlich gehalten. Ein weiteres Moment in der Geschmacksrichtung ist inländisch, nämlich ein von Oben erweckter und begünstigter, oft bis ins Krank­hafte steigender, specifisch bayerischer Patriotismus, welcher beim Anblick jeder blauweißen Fahne, bei jeder Anspielung auf glorreiche Niederlagen, wie die Bauernschlacht bei Send- ling oder das Treffen bei Hanau, vor Entzücken mit Händen und Füßen arbeitet. Hierzu kommt endlich die dem Volk immer eigene Vorliebe cincstheils für das Wunder­bare, Unbegreifliche, andcrntheils für das rein Natürliche, Leichtbegrcifliche;'und so ließe sich das Repertoire der Volkstheater auf vier Hauptgattungen zurückführen: Possen aus Wien, mitunter auch Vaudeville's aus Paris; dramatische Darstellungen aus

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