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zw'ei entgegengesehen Gesichtspunkten zu betrachten, nnd, diesen Gesichtspunkten entsprechend, gleichzeitig die entgegengesetzten Gefühle im Herzen zn tragen. Früher hatte man seine specielle Idee mit gläubigem Pathos der Welt gepredigt, und die Ironie den Gegnern überlassen, oder umgekehrt; jetzt fühlte man sich verpflichtet, das ^eigene Pathos zu'irvuisireu nnd sür die Ideen, die mau cigeut- lich haßte uud verabscheute, eine gewisse empfindelude Sympathie in sich zu erwecken. Ans diesem Durcheinander von Gesichtspunkten ging der sogenannte Weltschmerz hervor uud jene gebrochenen Charaktere, die niemals wissen, was sie wollen, weil sie sich nie zn einer Wahl entschließen können. Habe ich das Zeitalter der Nestanration als die Unbefangenheit in der Befangenheit charakteri- sirt, so möge man mir für das- jnngdcutsche Zeitalter die entgegengesetzte Bezeichnung zu Gute halten: die Befangenheit in der Unbefangenheit.
Ich darf wol kam» hinzusetzen, daß ich unter dem Collectivbegriff „junges Deutschland" keineswegs blos die bekannten Schriftsteller verstehe, die man gewöhnlich unter dieser Kategorie znsammeufaßt. Es ist vielmehr der Charakter der deutschen Literatur seit der Jnlirevvlutivu überhaupt, und bei den meisten Schriftstellern, die beiden Perioden angehören, kann man einen bestimmten Wendepunkt nachweisen, wo sie aus der einen Richtung in die andere übertraten.
Jmmermaun ist ein sehr charakteristisches Beispiel für diese Umwcndnng. Seine früheren Dichtungen gehören ganz entschieden dein Charakter der Restaurationsperiode an; mit „Alexis" und „Merlin" steht er auf der Scheidegrenze, in den späteren Romanen ist er vollkommen jnngdeutsch.
Seine natürliche Anlage machte ihn vorzugsweise dazu geeignet, diesen Einflüssen zu verfallen. Ein gesunder tüchtiger Verstand und dabei eine vollständige Unprvductivitat in der Dialektik; eine an Starrköpfigkeit grenzende Sprödigkeit und doch der unausgesetzte lebhafte Trieb, sich von allen Seiten das Schöne und Gute auzueigueu; eiue unverdrossene Arbeitskraft nnd ein vollständiger Mangel an jener angebornen Poesie, die allein beim Schassen Frende bringt.
Dieser Mangel an Poesie zeigt sich namentlich in seinen lyrischen Gedichten, die in einer sehr großen Zahl vorhanden sind. Beim Drama und beim Roman kann ein ernster Wille, cousequcuteS Streben, eine sichere Bildung und technischer Verstand wenigstens bis zu einem gewissen Grad diese schönste Gabe der Götter ersetzen, die man nur als Geschenk erwirbt. In dem heitern, flüchtigen Spiel der Lyrik ist das unmöglich. Jmmcrmann's lyrische Gedichte sind fast ausschließlich die nackte, nüchterne Prosa, in der zuweilen die grenzenloseste Abgeschmacktheit die Stelle der Erhebung vertreten muß, bis zum Erschrecken unschön in der Form und dürftig im Inhalt. Außerdem findet sich bei ihm, wie bei jedem Lyriker aus Reflexion, eine unbewußte Nachbildung überlieferter Formen, die nicht selten ans Komische streift. — Ganz dasselbe gilt von seinen Lustspielen („ein Morgenscherz", 1824, „die Schule der Frommen", 1829,