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schlich durch irgend ein anderes, unschätzbar. Waö ich aber jetzt noch schließlich anführe, dessen Werth ist in knnstgeschichtlicher Hinsicht noch gesteigert durch die Seltenheit echter und wohlerhaltener Werke des Meisters. Ich meine die Zeichnungen von Leonardo da Vinci, die von der Fran Erbgroßherzogin vor einem Jahre bei der Versteigerung im Haag erstanden wurden. Es sind Haupttheile seines bedeutendsten Werks, des Abendmahls, das er im Speisesaal des Klosters delle Grazie zu Mailaud gemalt hat, nämlich die lebeuSgroßen Brustbilder mit Häudeu vou zehn Aposteln, in schwarzer Kreide und Pastellsarben ausgeführt. Diese 10 Bilder befinde« sich auf 8 gleichgroßem Blätteru, indem 6 Blätter einzelne Brustbilder, 2 aber jedesmal zwei Köpfe beisammen enthalten. Drei Blätter haben dazu gehört (mit dem Bilde Christi, des Thaddäus, des Simon), und die Verthcilung dieser 13 Figuren auf 11 Blatter hatte Leonardo theils durch Anschließnng in der Linienfolge, theils durch Partien-Wiederholung so eingerichtet, daß das Grnppenverhältniß und die ^tte der Motive sich völlig darstellen. Die 3 uns fehlenden Blätter sollen in England im Besitz einer Dame sein; nach anderer Angabe eines derselben in Italien. Als der König der Niederlande jene 10 Bilder, welche Lawrence gehabt, dem Kunsthändler Woodburn abgekauft hatte, ließ er zwei der fehlenden (Christus und Thaddäus) durch Krnsemann copiren. Diese also haben wir wenigstens in Nachbildern auch; uud das Bild des Simon ist es allein, das uns ganz sehlt. Daß Leonardo diese Pastellbilder gemacht, ist schon im nächsten Geschlecht nach ihm bezeugt, auch urkundlich gewiß, daß sie uoch 172Ä in Mailand waren, hierauf uach Venedig und etwa 30 Jahre später nach England kamen, woselbst aber das Christusbild nicht mehr dabei gewesen sein soll; und was nachmals Lawrence von Sir Thomas Baring erhielt, waren nur uusre 10 Apostelbilder. Wer übrigens diese aufmerksam erfaßt, bedarf keines äußern Zeugnisses für ihre Echtheit. Ihre Erhaltung ist uugleich; stellenweise ist die Farbe entwichen oder verblaßt, stellenweise hat ihr Verwischtwerden uud Fließeu Fleckeu erzeugt. Solche Flecken zu beruhige«, wie auch mitunter die Contouren mehr vortreten zn machen, haben spätere Hände schlichte Kreideschrasflrnngen drüber uud drau gelegt; im Uebrigen sieht man deutlich geung die ganz eigenthümliche Zeichnung Leonardo's, welche die ruhig geführten Strichlagen leicht verbindet, uud iu einer Weise, der nicht nachzukommen ist, zarte Lichtabstände und eiue ebeu so großartige als feine Modelliruug erreicht. Was uoch mehr ergreift, ist der sicher geprägte Charakter, der »nicht nnr aus den wohlerhaltenen, sondern selbst aus den merklich beschädigten Köpfeu unverwüstlich wirkt. Und was über Alles geht, ist der einige Geist, der diese Bildungen durchhaucht. Er giebt das unmittelbarste, sicherste Zeugniß ihrer Ursprünglichkeit. Und diese Seele, welche Gedanken uud Vvrtrag so einstimmig macht, ist bei ihrer Stärke von einem Ernst, bei ihrer Größe von einer Schlichtheit, daß man im Leonardo selbst bei seiner jugendlich männlichen