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Neuigkeiten der Literatur und Kunst.
Das Preußische Wochenblatt. — Dieses Orgcin einer neu sich bildenden Partei verdient unsre ganze Aufmerksamkeit. ES ist sehr entschieden oppositionell gehalten, nnd stimmt in drei sehr wichtigen Punkten mit nns übercin. Erstens kämpft es mit anerkennenswerthcr Energie gegen die höchst gefährliche und in ihren Resultaten schändliche Ansicht von einem sogenannten höhern Recht, durch welches man das wirkliche Recht aufheben könne; zweitens geht es trotz seiner Abneigung gegen einzelne demokratische Formen unsrer gegenwärtigen Verfassung mit rücksichtsloser Offenheit auf die Idee des parlamentarischen Staates ein, was um so anerkenncnswerther ist in einer Zeit, wo die feigen Philister aller Nationen sich mit verächtlichem Götzendienst vor dem goldenen Kalb der prvvidentiellen Willkür niederwerfen; drittens bestreitet es mit eben so großer Wärme die unseligen Folgen der sogenannten Tendenzpolitik, der Solidarität .der conscrvativen Interessen, und zeigt, daß Preußen seine ganz individuelle, durch die individuelle Natur des Staats vorgeschriebene Politik verfolgen muß, eine Politik, die man unmöglich aus den Abstraktionen des sogenannten konservativen Princips herleiten könne. — In allen diesen Punkten sind wir völlig mit ihm einverstanden, und obgleich wir nicht daran zweifeln, daß in ebenfalls sehr wichtigen Punkten eine Trennung eintreten wird, so halten wir es doch für höchst unpassend, aus dem bloßen Grunde, daß wir nicht vollständig übereinstimmen, jetzt eine Polemik eintreten zu lassen, die sich mehr auf die Personen, als auf die Sachen bezieht. Man muß außerdem bedenken, daß manche von den jetzt brennenden Fragen, z.B. die über die neue Gemeinde- und Kreis-Ordnung, nicht blos aus dem Standpunkt des Rechts entschieden werden darf, sondern daß dabei noch andere Betrachtungen ins Spiel kommen, die eine Discnssion wol zulassen. Das Wochenblatt seinerseits sollte es aber vermeiden, zu einer ähnlichen Polemik zu provociren. Ein offener Kampf, wo die Principien anseinandergehen, ist nicht nur unvermeidlich, sondern auch gar nicht nachtheilig für die gegenseitige Anerkennung zweier gewissenhafter Gegner; aber bloße Sticheleien erbittern, ohne Etwas zu beweisen. Es ist z. B. höchst unrecht, daß das Wochenblatt aus der durch ganz eigenthümliche, zufällige Umstände bedingten Haltung einer einzelnen constitutionellen Zeitung in Beziehung auf den französischen Staatsstreich schließen will, die Constitutionellen seien über diese Frage nicht einig, und wüßten daher nicht, was sie wollten: ein Schluß, von dessen Verkehrtheit die starke, zuweilen fast lärmend ausgesprochene Mißbilligung aller übrigen constitutionellen Zeitungen das Wochenblatt hätte überzeugen können. Bei einer Partei, die durch einige zwanzig Blätter vertreten wird, kann es wol vorkommen, daß das eine oder das andere bei irgend einer speciellen Veranlassung durch Umstände, die nicht im Princip liegen, aus der Bahn der allgemeinen Meinung getrieben wird, ohne daß darum der principielle Zusammenhang der Partei aufhört. Begegnet es doch selbst der höchst legitimen und ganz vom Geist erfüllten Kreuzzeitung alle vier Wochen einmal, daß sie sich selber widerlegt, daß der Nundschauer die Leitartikel, und die Leitartikel den Nnndschauer zurechtweisen. Wir wünschen und hoffen ausrichtig, daß die Partei Bethmann-Hollweg niemals in solche Widersprüche mit sich selbst gerathen möge; allein dann möge sie nicht zu stolz darauf werden, da die Einheit ihres Organs ihre Ausgabe in dieser Beziehung wesentlich erleichtert.
Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Als verantwortl. Redacteur legitimirt: F. W. Grnuvw. — Verlag von F. L. Hevbig
in Leipzig. Druck von C. E. Elbert in Leipzig.