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Preußen und der Bundesstaat.
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einzelnen Staaten, zumeist im Süden, feindliche Stimmungen gegenüberstehn. Aber der ungeheure Vortheil der Erfurter ist, daß sie gegenwärtig in Deutschland die einzige Partei ausmachen, welche volle politische Berechtigung hat, d. h., welche sehr genau ihren Zweck und ihre Mittel kennt uud iu ihrer Organisation so weit fortgeschritten ist, daß ihre Staatsmänner die Regierung des Bnndesstaates und Deutschlands zu leiten im Stande wären. Deshalb wird das Parlament mit banger Sorge von seinen Feinden.uud mit einer zweifelnden Aufmerksamkeit von den Völkern betrachtet. Es wird nicht dazu helfen, einen allgemeinen Enthusias­mus für den Bundesstaat hervorzurufen, aber es wird langsame und sichere Fort­schritte in den Seelen der Lebenden machen; nicht mehr wird das warme Gefühl in den Massen die vollständige Reflexion unterdrücken, wie im Jahr 48 fast all­gemein geschah, sondern das Erkennen des Nützlichen und Nothwendigen wird allmälig das widerstrebende Gefühl der vielen Einzelnen besiegen.

Während die Glocken in Erfurt deu feierlichen Gottesdienst einlänten, welcher das Parlament weihen soll, während Radowitz als Vorsitzender des Verwaltungs­raths im Erfurter Schlosse den Reichstag eröffnet, und die Häuser sich im Augustinerstift constituiren, den vorläufigen Präsidenten wählen uud die Vollmach­ten ihrer Mitglieder prüfen, bitten wir Unsere Leser, einen schnellen Blick auf die Begebenheiten der letzten Wochen zurückzuwerfen, auf Preußen uud seine Politik, auf das Interim, die Verhandlungen des Verwaltungsraths und das Buudes- protokoll der kleinen Königreichs vom 27. Febrnar 1850.

Die Umstände, unter welchen Preußen im Januar eiu constitutioneller Staat wurde, waren für den Buudesstaat nicht vortheilhaft. Viel und hart ist über die königliche Botschaft und ihre Znsätze zur Verfassnng gcurtheilt wordeu, auch uuscr Blatt hat die allgemeine Stimmung darzustellen versucht. Es muß aber auch ge­sagt werden, daß man diesen Akt vielfach falsch aufgefaßt uud zu schlecht gedeutet hat. Ein Theil der Veränderungen, welche die königliche Botschaft vorschlug, war an sich ganz zweckmäßig, ja nothwendig; und wenn man aus der ungeschickten Art, in welcher diese Bedenken der Krone sich zu spät äußerten, Schwanken uud Un­sicherheit in den leitenden Regionen des preußischen Staates peinlich herausem­pfand, so durste andererseits auch nicht verkaunt werden, daß die Regierung dabei eine Ehrlichkeit und Offenheit gezeigt hat, welche die Furcht vor ihrer Unzuver- lässigkeit bedeutend vermindern mußte. Die später» Ernennungen znm Staaten­hause von Seiten des Königs aber, welche ebenfalls die Kritik herausforderten, zeigten mehr ein Bestreben, die hohe Aristokratie uud die altpreußische Partei mit der Union zn verbinden, als eine unpolitische Hinneigung zu antideutschen Ten­denzen. Im Allgemeinen ist es für einen NichtPreußen schwer, die Schwierig­keiten Preußens auch in Beziehnng zum Bundesstaat vollständig zu schätzen, und vieles, was unmännliches Schwanken scheint, ist nichts als die natürliche Folge